Die Idee ließ mich jedoch nicht los. Kinder
in Deutschland haben keine Ahnung, was jüdisch
überhaupt ist, ihnen gehen aber auch jene Berührungsängste
ab, die Erwachsenen die Rezeption erschweren.
Ich begann, das ganze als eine Chance zu sehen.
Wenn man Kinder behutsam und unaufdringlich,
spaßig, unterhaltsam und nicht oberflächlich
in jüdische Kultur einführt, kann man sie möglicherweise
vor den Blockierungen bewahren, die auftreten,
wenn man jüdisch nur im Zusammenhang mit Holocaust
kennenlernt.
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Ich suchte nach einem Thema, dieses Anliegen
zu transportieren. Mehrere Versuche wurden
verworfen. Schließlich erkannte ich, daß
man Muster nutzen sollte, die Kindern
bereits aus Märchen bekannt sind, und
ich entschied mich für das Muster Verheiraten:
ein Mädchen soll heiraten, es gibt viele
Bewerber, sie entscheidet sich für den
in den Augen aller anderen Unwürdigsten
und setzt diese Entscheidung auch durch.
Das Thema hat den Vorteil, Einblicke
in jüdisches Alltagsleben zu geben, die
verstanden werden können, ohne vorher
Seminare darüber besuchen zu müssen.
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In den bekannten Märchen, z.B. Grimm´s Märchen,
werden die Bösen oft durch ihre Besonderheiten
und Absonderlichkeiten, z.B. bestimmte Rituale,
gezeichnet. Diese Klischees existieren über
die Volksmärchen auch bei Kindern. Ich durfte
nicht vergessen, daß die Mär vom bösen Juden
Teil des Volksglaubens war. Deshalb habe ich
weitestgehend darauf verzichtet, auf Details
jüdischen religiösen Lebens einzugehen; es muß
Kindern fremd und somit unheimlich erscheinen.
Das Stück ist schließlich höchstens ein Anfang.
Jüdisches soll sich für die Hörer aus dem Kontext
und der Musik erschließen, ohne die Musik als
jüdisch zu klassifizieren.
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In einem Brief
an die Redaktion schreibt Heiko des weiteren:
Offensichtlich hat es nichts mit Klezmer-Musik
zu tun -- unter der Oberfläche aber doch
ein wenig. Weil eben Klezmer-Musik für mich
eine ganze Menge mit Jiddisch, der Religion
und Osteuropa zu tun hat, dem Leben, aus
dem sie entstanden ist. Obwohl man auch
die Sprachen der Umgebungskulturen kannte,
fand die "self-expression" in
Jiddisch statt, musikalisch eben in, wie
man heute sagt, Klezmer. Das habe ich bei
"Rejsls Lied" angedeutet: der
erste Teil ist nichts weiter als eine Doina
(also ein Gebet), wie man sie sonst instrumental
von Geige oder Klarinette kennt. In diesem
Fall wird sie zwar gesungen, der Baß spielt
und ornamentiert die Melodie aber parallell.
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Mich hat einfach interessiert, ob man Kindern
das Thema Judentum als Musical servieren kann,
ohne daß es Ressentiments weckt und ohne daß
es kitschig wirkt, aber trotzdem Spaß macht.
Ich habe dafür länger gebraucht, als ich gedacht
hatte; Kinder wissen nicht, was ein Jude ist,
und wenn man´s ihnen lang und breit erklärt,
langweilen sie sich und wollen dann nie wieder
etwas davon hören. Also bleibt nur die Möglichkeit
zu versuchen, über den Kontext zu arbeiten.
Der Response, den ich bis jetzt bekommen habe,
fast durchweg euphorisch, es gibt Kinder, die
mir die Lieder vorsingen und von ihren Lieblingsfiguren
(meist Balduin von Grütze) schwärmen.
Das Stück ist im Juli auf Radio Bremen gelaufen,
ich will es aber auch noch auf die Bühne bringen,
denn ursprünglich war es mal dafür gedacht.
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