1997 hatten Budowitz mit Mother
Tongue bei Koch International einen beeindruckenden
internationalen Erfolg. Drei Jahre später findet
man die Gruppe beim Pariser Label Buda Musique,
und von der Band der ersten CD findet sich nur
noch einer. Walt Mahavlich, Steve
Greenman (jetzt bei Khevrisha),
Lothar Lässer und Géza Pénzes
(der auch bei Di
Naye Kapelye ausgestiegen ist und
jetzt ausschließlich traditionelle transsylvanische
Musik spielt bzw. im Budapester Fónó
aufnimmt) haben Budowitz mehr oder weniger verlassen,
und man konnte meinen, die Band erholte sich
davon nicht. Doch schon allein die Tatsache,
daß Joshua Horowitz weitergemacht
hat und er eben schon immer das musikalische
und intellektuelle Herz der Gruppe war, stimmte
zuversichtlich. Mit dem britischen Klarinettisten
Merlin Shepherd (u.a. Ex- New
Presumption ) fand Horowitz einen musikalischen
Partner und in Ungarn ein Reservoir an exzellenten
Musikern, aus denen er, in Graz lebend, schöpfen
kann; es scheint, Joshua Horowitz hat von einer
bestimmten Art von Überraschungen genug.
Dancing Without A Bride unternimmt
den ernsthaften Versuch, eine traditionelle
osteuropäisch-jüdische Hochzeit musikalisch
nachzuzeichnen. Es gibt eine Reihe von Musikern,
die das versucht haben, jedoch aus den verschiedensten
Gründen daran gescheitert sind. Zum einen war
da die Frage des Materials: meist hatte man
zuwenig. Begab man sich auf die Suche, hatte
man plötzlich zuviel, wenn man erkannte, daß
Hochzeitsabläufe regional en detail variierten,
und dies stand dem Trend des Revivals der achtziger
und Anfang neunziger Jahre, allgemeingültige
Versionen zu schaffen – authentisch zu sein
– entgegen. Glücklicherweise wurde der Begriff
Authentizität von einigen Musikern und
Forschern – im Falle Horowitz in einer Person
– überprüft und einer regionalen, demnach breiter
gefächerten Definition zugeordnet; ein weites
Feld. Mit dieser theoretischen Grundlage erst
wurde das Album möglich.
Trotzdem war es noch immer ein schwieriges
Unterfangen. Hochzeiten tragen eine unglaubliche
emotionale Ambivalenz in sich, denn über aller
Freude soll die Zerstörung des Tempels nicht
vergessen werden, der die Juden in Goless,
ins Exil getrieben hat und sie zwingt, im Exil
Familien zu gründen und Kinder zu haben. Hochzeiten
bedeuteten Tränen der Freude und Tränen der
Trauer, und diesen schwierigen Job konnten die
Klezmorim (die selbst genug Grund zur Trauer
hatten, waren sie doch in Synagogen seit der
zweiten Tempelzerstörung verboten, was ihren
Ruf nachhaltig beschädigte – die Leviten wurden
nicht mehr benötigt) nicht allein ausführen.
Dafür gab es einen Badchn, einen Hochzeitsunterhalter,
der Braut, Bräutigam, deren Eltern und die gesamte
Hochzeitsgesellschaft dieser emotionalen Ambivalenz
zu unterziehen hatte; schaffte er es nicht,
war er ein schlechter Badchn.
Zitat Majer Bogdanski:
“Wenn ein Kind geboren wird, weinen wir – wir
weinen aus Freude; wenn das Kind beschnitten
wird, dann weinen wir; bei seiner Bar Mitzwa
oder Bat Mitzwa weinen wir; wenn wir sie zur
Khupe (Traubaldachin) führen, weinen
wir: siehst du, es ist ein Weinen aus Freude,
aber es ist notwendig. Wenn ein Jude kein gutes
Gewein hat, dann entgeht ihm der Geschmack des
Lebens – Juden können ohne ein gesundes Gewein
das Leben nicht genießen.”
Die Aufgaben des Badchn waren überaus komplex,
und der Erfolg einer Hochzeit hing vollständig
von ihm ab. Mit Majer Bogdanski, 1912 in der
Nähe von Lodz geboren, fand Budowitz einen zeitgenössischen
Träger regionaler ostjüdischer Kultur, der darüber
hinaus eine musikalische Ausbildung hat und
trotz seines respektablen Alters gut bei Stimme
ist. Von ihm lernten Horowitz und Shepherd detaillierte
regionale Hochzeitsabläufe einschließlich der
dabei gespielten Musik, die sie mit anderen
ihnen bekannten Hochzeitsabläufen vergleichen
konnten. Majer Bogdanski übernimmt die Rolle
des Badchn auf der CD, während die Band sich
in die traditionelle Rolle der Hochzeitsmusiker
findet. (Übrigens soll demnächst in England
eine Solo-CD mit Majer veröffentlicht werden)
An einer Stelle im (von ihm vorzüglich recherchierten)
Text des Booklets erwähnt Horowitz, wie erstaunt
er war, am Ende der Arbeit an der CD den Hochzeitsablauf,
den sie zeigt, als eine feste Form, vergleichbar
dem Ablauf einer klassischen Symphonie, vorzufinden.
Dem stimme ich zu und nehme es als Zeichen,
wie gelungen die CD ist.
Musikalisch setzt Horowitz (der
mit vier Kompositionen aufwartet) mit seinen
Zimbl- und Akkordeon-Solos Höhepunkte. Shulem
Tants Mit Variatsyes halte ich für unerreicht.
Der Band-Sound jedoch wird von allen getragen
und gesteht insbesondere Merlin Shepherd viel
Raum zu. Ich will nicht verhehlen, daß mir Ton
(und z. T. Intonation) der Solo-Violine bei
Kale Bazingns und Khosn Bazingns
mißfielen; weitere musikalische Minuspunkte
konnte ich nicht entdecken. Im Gegenteil: die
Arrangements fordern (u.a. wegen des Zusammenspiels
von Klarinette, Violine und Zimbl, oft unisono)
mein Lob heraus.
Fazit:
Horowitz und Shepherd führen ein ausgezeichnetes,
überaus anspruchsvolles, Klezmerensemble, das
über ein rares und beeindruckendes Repertoire
verfügt, welches der eigentliche Höhepunkt dieser
CD ist. Ein musikalisch und konzeptionell überaus
gelungenes Konzeptalbum, das Horowitz´s Status
als Musiker und Forscher eindrucksvoll bestätigt
und Merlin Shepherd in die Reihen seiner Vorbilder
etablieren wird. Schade nur, daß die Qualität
des Albums keineswegs durch sein Äußeres bestätigt
wird. Die Grafik auf dem Cover verschließt sich
hartnäckig meinem (seriösen) Verständnis, und
beim Lesen des gediegenen Booklet-Textes dachte
ich mitunter an Augenärzte. Yin und Yang? Nein.
Die Musik entschädigt auch dafür.
Bewertung:
Virtuosität
Interpretation
Spielfreude
Aufmachung
(jedoch Informationen: )
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