Kommentar zu einzelnen
Stücken:
Doyna und Sirba Populara ist eine Suite
bestehend aus 3 Teilen. Das Forshpil wird durch
die Geigerin Deborah Strauss eingeleitet, die
darauf folgende Doina spielt Kurt Bjorling auf
der Klarinette. Den dritten Teil bildet die
Sirba, ein Tanz.
Sweet home Bukovina ist ein Medley
ebenfalls aus 3 Teilen. Der erste Teil “der
Arbeiter” wurde 1912 von dem Belf’s Rumanian
Orchestra aufgenommen uns stammt aus “international
hebrew wedding music” von W.N. Kostakowski.
Der zweite Teil “Nokh Havdole” wurde 1916 von
Abe Schwartz eingespielt und tauchen in den
Transkriptionen von Moshe Beregovski auf;
ebenso der dritte Teil des Stückes.
Von dem Stück Mazeltov gibt es offensichtlich
keine alten Aufnamen. Lediglich in der Sammlung
von Moshe Beregovski taucht es auf. Beregovski
war nebenbei gesagt ein wichtiger russischer
Musikethnologe (auch wenn es den Begriff damals
noch nicht gab), der in den 20- und 30 Jahren
unseres Jahrhundert umfangreiche Sammlungen
jüdischer Lieder und Instrumentalweisen angelegt
hat. Eine der wichtigsten Quellen heutiger Musiker.
Hora Monzingo wurde von Eve Monzingo
komponiert. Der erste Teil des Stückes ist ein
langsamer rumänischer Hora, der zweite ein flotter
Tanz. Mein persönliches Lieblingsstück auf der
CD.
Yosl Ber ist ein Stück über Joseph den
Bären, der sich für einen Soldaten hält weil
er Baracken fegt. Zumindest ist es die Melodie
des humoristischen Liedes.
Yismekhu V’malkhuskho ist ein Duett
von Deborah Strauss auf der Geige und der Tsimbel.
Die Melodie stammt von Shloymke Beckerman aus
dem Jahr 1923.
Trinkt Briderlakh ist ein Trinklied,
das beim Zusammensein jüdischer Männer gespielt
wird (natürlich nur als Ausdruck extatischer
Religiosität...). Der erste Teil ist eine langsame
Hora, der zweite ein schneller Tanz.
Shadeshudes ist auch ein Stück von
Eve Monzingo; eine freie Improvisation auf der
Klarinette.
A Hora mit Tsibeles ist ein Klassiker
von Naftule Brandwein (auch auf der CD
“King of the klezmer clarinet” zu finden).
Meiner bescheidenen Ansicht nach geht der lebhafte
Charakter ganz verloren. Technisch gut gespielt
aber leblos.
A yidishe Neshome (eine jüdische Seele)
wurde von Kurt Bjorling komponiert. Klarinette
und Geige als Melodieinstrumente spielen diese
Improvisation mit ständigen Wechseln in Betonung
und Schnelligkeit. Ein schönes Stück.
Fazit:
Das Chicago Klezmer Orchester spielt Klezmer
wie ein Kammermusik-Ensemble. Mehr eine Musik
zum Anhören und weniger zum Tanzen. Technisch
ist es absolut einwandfrei gespielter Klezmer,
mir sind die Aufnahmen aber zu klinisch - stinken
quasi nach Chloroform. In den Liner-Notes zu
der CD ist ein längerer, allerdings absolut
nichtssagender Artikel von Walter Zev Feldman
enthalten (der sogar ins Französische und Deutsche
übersetzt wurde). Ansonsten enthält das booklet
ausführliche Informationen zu den einzelnen
Liedern.
Bewertung:
Heiko
hat eine kritische Stellungname zu obiger Kritik
von Gus
geschrieben, und zwar in Form eines Briefes.
Diesen hier in ungekürzter Fassung:
Geschätzter Gus,
Deine Rezension der ersten Platte des Chicago
Klezmer Ensembles repräsentiert eine Richtung,
denn vielleicht unbewußt schlägst Du Dich damit
auf eine bestimmte Seite des Klezmer-Revivals.
Indikator dafür sind auch die Sätze:
“Kurt Bjorling hat früher bei den Klezmatics
gespielt und ist auch auf deren erster Platte
(”Shvaygn=Toyt”) zu hören. Seine Stelle bei
den Klezmatics hat der geniale Klarinettist
David Krakauer übernommen.”
Von den Fakten her richtig, unterstellt er
jedoch, daß Bjorling zugunsten des genialeren
David Krakauer gefeuert wurde. Dabei wird vergessen,
daß die `Matics ein Klarinettisten-Problem haben:
während die Band stabil in ihrer Besetzung verblieb,
spielte vor Bjorling Margot Leverett in der
Band, nach Bjorling David Krakauer, der die
Band vor zwei Jahren verließ und halbherzig
(nicht alle Bandmitglieder wollten ihn) von
Matt Darriau ersetzt wurde. Krakauer im Gegensatz
zu Bjorling als “den genialen Klarinettisten”
zu bezeichnen, ist unfair. Salopp gesagt, Krakauer
spielt in der NBA, Bjorling in der NFA, und
beide spielen sie in der Spitzengruppe ihrer
Liga. Mit den `Matics war Bjorling kurz in der
NBA.
Das CKE versucht (und das haben sie mit Budowitz
gemeinsam), anhand alter Aufnahmen und musikethnologischer
regionaler Forschungen den Klang von Klezmer-Musik
in Europa vor Edison und Emil Berliner nachzuvollziehen.
Dabei beschränken sie sich nicht auf traditionelle
Kompositionen (obwohl sie davon ein eindrucksvolles
Archiv besitzen), sondern verinnerlichen diesen
Stil derart, daß ihre Neukompositionen sich
nahtlos einfügen (A Yidishe Neshome klingt
für manche fast schon zu jüdisch). Das
ist, was Feldman meint wenn er sagt, daß man
die Band nicht unter Traditionalisten oder Erneuerer
einstufen kann.
Der Vorwurf, diese Art von Klezmer-Musik sei
langweilig ist selbst langweilig und kann leicht
widerlegt werden. Die Tage der jüdischen
Kultur in Chemnitz ziehen wahrlich keine
Freunde der Kammermusik, und im Juni 1999 brachte
das CKE bei ihrem ersten Europa-Auftritt den
gesamten Saal zum Swingen. Denn sobald man sich
auf diese Musik einläßt, wird man Zeuge einer
akkustischen und rhythmischen Dynamik, die seinesgleichen
sucht (mit Ausnahme vielleicht von Brave Old
World, deren Klarinettist Bjorling auch ist,
und deren musikalischer Leiter Alan Bern ein
ähnliches Konzept von Dynamik hat). Die Arrangements
des CKE haben in der Regel eine Spannung, wie
sie bei guter Konzertmusik vorkommt. Sicher
ist es keine vordergründige Tanzmusik, diesen
Anspruch hat sich die Band nie gestellt, auch
keine Party-Musik, was sie von den `Matics unterscheidet.
Aber neben BOW ist das CKE eines der besten
Konzertensembles.
Zev Feldman ist Musikethnologe und einer der
theoretischen und musikalischen Köpfe des Revivals.
Als Wissenschaftler hat er womöglich nicht jene
entzündende Sprache, die junge Menschen im Bann
hält. Aber was er sagt, ist relevant. Er kennt
Bjorling und die Band lang. Feldmans Platte
mit Andy Statman gehört immer noch zum besten,
was das Revival hervorgebracht hat.
Wie Du gemerkt hast, kam mein Statement aus
der Deiner gegenüberliegenden Richtung. In der
Mitte treffen wir uns!
Bewertung:
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