Aaron Eckstaedt
"Klaus mit der Fiedel, Heike mit dem Bass ..."
Jiddische Musik in Deutschland. Motivation, Selbstverständnis,
Erfahrungen
Philo-Verlag, Berlin, Februar 2003
"Klaus mit der Fiedel, Heike mit dem Bass ..."
variiert den Refrain von Tsen Brider, des in Deutschland
vielleicht bekanntesten jiddischen Liedes. Sie macht
auf die erstaunliche Popularität von Klesmermusik
und jiddischen Liedern in Deutschland aufmerksam,
die in den 60er Jahren mit jiddischen Liedern beginnt,
in den Achtzigern zunimmt und mit Klesmermusik in
den Neunzigern einen Höhepunkt erreicht.
Aaron Eckstaedt nähert sich dem Phänomen
Jiddische Musik in Deutschland seit 1945 mit Blick
auf die ausübenden Musikerinnen und Musiker,
die vorwiegend nichtjüdisch sind und den ersten
beiden Nachkriegsgenerationen angehören. Was
sind ihre Motivationen, welche Erfahrungen führen
sie zu musikalischer Tätigkeit, und was bewegt
sie, gerade jiddische Musik zu spielen? Wie ist ihr
Selbstverständnis als Ausübende jiddischer
Musik in Deutschland, mehr als 50 Jahre, nachdem Deutsche
die ostjüdische, jiddische Kultur nahezu völlig
vernichtet haben? Dem liegt ein zweifaches Erkenntnisinteresse
zu Grunde:
Erstens, wie sich persönliche Bedeutungen von
Musik und spezifisch jiddischer Musik ergeben.
Zweitens, welche Rolle dabei die besondere Situation
jiddischer Musik in Deutschland spielt.
Die Dissertation bedient sich dazu eines biografisch
orientierten Ansatzes und basiert auf der Beobachtung
der Szene über einen Zeitraum von 10 Jahren hinweg,
der Auswertung von Literatur und Internetrecherchen,
Konzerten, Tonaufnahmen, Werbematerial, einer empirischen
Befragung und zahlreichen Interviews.
In einem ersten Teil wird die Verbreitung jiddischer
Musik in Deutschland sowie die Entstehung einer spezifischen
Szene geschildert und unter soziopolitischen Gesichtspunkten
analysiert. In einem zweiten Teil zeigen 14 Portraits
von nichtjüdischen wie jüdischen Musikerinnen
und Musikern typische persönliche Bedeutungen
jiddischer Musik und typische Wege des Erlernens auf.
Die biografischen Portraits bilden einen Fundus von
Oral History, in dem sich die soziale Realität
der Szene widerspiegelt. In einem dritten Teil wird
die Frage nach der Tradition und Authentizität
jiddischer Musik in Deutschland sowie die Rolle der
(nicht bewältigten) deutschen Vergangenheit kritisch
diskutiert. Ihnen stellt es die Funktion gegenüber,
die jiddische Musik für die Ausübenden hat:
persönlich bedeutsame Musik und private wie öffentliche
Erinnerungsarbeit.
Die Dissertation zeigt, dass das Phänomen Jiddische
Musik in Deutschland Resultat einer (musikalischen)
Identitätssuche im post-nationalsozialistischen
Deutschland in der Folge von 1968 ist. Persönliche
Bedeutungen ergeben sich für Musikerinnen und
Musiker hauptsächlich aus vier Faktoren:
- der musikalischen Tätigkeit jenseits reglementierter
klassischer Musikausübung,
- der Sehnsucht nach Folklore,
- dem religiösen und spirituellen Gehalt jiddischer
Musik und
- gesellschaftlichem Engagement.
Für die jüdischen Ausübenden ist jiddische
Musik zudem Ausdruck jüdischer Identität
in Deutschland. Für alle Ausübende ist es
eine Form nicht ritualisierter Erinnerungsarbeit.
Jiddische Musik in Deutschland ist immer auch eine
Auseinandersetzung mit deutscher wie jüdischer
Geschichte.
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