Sapoznik ist selbst einer der Pioniere
des amerikanischen Klezmer-Revivals, und
als solcher steht es ihm zu, den Begriff
“Revival” in Frage zu stellen. Für ihn
ist es keine Wiederbelebung, weil Klezmer-Musik
in Amerika nie tot war, lediglich unter
der kulturellen Oberfläche weiterwirkte.
Musiker und Forscher wie Andy Statman,
Bauer und Slobin stimmen darin überein,
doch wird es schwer werden, den eingebürgerten
Begriff Revival zu ersetzen. Sapoznik
produzierte zahllose CD´s mit Klezmer-Musik
(herausragend z.B. seine Dave-Tarras-CD),
gründete 1979 mit Kapelye (New
York) eine der ersten Klezmer-Bands und
spielte vier Alben mit ihr ein (vor wenigen
Monaten stieg er bei Kapelye aus)
und begründete die Sound Archives im New
Yorker YIVO-jüdisches wissenschaftliches
Institut.
Er war jiddischer Moderator der legendären
Forverts Hour bei WEVD (denen es
heute peinlich ist, nach dem Sozialisten
Eugene V. Debs benannt zu sein) und zusammen
mit Andy Lanset forschte er über amerikanisch-jiddisches
Radio von 1920-1950 (siehe auch die letzte
Kapelye -CD Kapelye on the Air,
Shanachie 1995).
Sein Buch kann grob in zwei Hauptteile
gegliedert werden, die jeweils ungefähr
eine Hälfte ausmachen. Der erste Teil
beschäftigt sich ausführlich mit der Geschichte
von Klezmer-Musik von den ersten schriftlichen
Quellen aus dem Mittelalter bis in die
sechziger Jahre dieses Jahrhunderts. Sapoznik
beweist sich in diesem Teil als guter
Historiker und geschickter Schriftsteller.
So führt er einen Nebenstrang ein, der
in Rowne/Ukraine spielt, einer ehemalig
“jüdischen” Stadt, aus der seine Familie
stammt. Rovne war bis zum 2. Weltkrieg
berühmt für seine chassonim, seiner
Kantorentradition, und Sapoznik stammt
aus dieser Familie: sein Vater, Zindel
Sapoznik, der zusammen mit seiner Frau
nach dem Krieg in die USA emigrierte,
war der letzte Rovner chasn (Kantor)
und erzog seine Söhne in dieser Tradition.
Dies ist wichtig, weil die orale Tradition
Grundlage von Klezmer-Musik ist. Neue
Entwicklungen im Bereich der Musik werden
über lange Zeit an konkreten Personen
und Ensembles aus Rovne gespiegelt (Status
der Klezmer-Kapellen, Wechsel des Instrumentariums,
Rolle und Verschwinden der badchonim
[Hochzeitsunterhalter] usw.).
Damit wird auch dem interessierten Laien
die Möglichkeit gegeben, pure Musikgeschichte
(die es im Buch auch gibt) nachzuerleben.
Es werden die Biographien der bedeutendsten
Vertreter des Genres nachgezeichnet und
ihr Einfluß auf den herrschenden Zeitgeist
beschrieben. Faszinierend in beiden Teilen
ist Sapozniks Unternehmen, die Interdependenz
zwischen musikalischen, regionalen, sozialen,
politischen und kommerziellen Gegebenheiten
und Veränderungen aufzuzeigen
Der zweite Teil beschäftigt sich
mit dem Klezmer-Revival, dem Wiederaufleben
der Musik beginnend Mitte der siebziger
Jahre in den USA, an welchem Sapoznik
als Pionier selbst großen Anteil hatte.
So wird diese Geschichte auch zu seiner
eigenen. Sapoznik ist intimer Kenner der
Musik und der dazugehörenden Szene.
Er beschreibt, wie durch die Roots-Bewegung
und die Hinwendung zu traditioneller und
Folk-Musik in Amerika jüdische Musiker
aus der Folk-, Dixiland- und Bluegrass-Szene
plötzlich auf die Suche nach eigenem musikalischen
Wurzeln aufbrachen, wie sie erstaunt bemerkten,
daß diese Wurzeln in den alten Meistern
der Klezmer-Musik zum Teil noch lebendig
waren, daß sie zum Teil (Dave Tarras,
Leon Schwarz u.a.) vergessen um die Ecke
in Brooklyn wohnten und den Jungen versuchten,
diese Musik auszureden: sie sollten doch
bitte lieber etwas Seriöses lernen.
Er geht auf den Einfluß des Revivals auf
Europa, insbesondere Deutschland, ein
und zeigt auf, wie plötzlich mit dem Aufleben
der Musik auch die Traditionen wiedererstarkten,
in denen Klezmer als vordergründige Gebrauchsmusik
(Tanz- und Hochzeitsmusik) ursprünglich
lebte und trotzdem eine neue Funktion
als Konzertmusik behielt. Sapoznik untersucht
die verschiedenen Richtungen, in die sich
das Revival mittlerweile unterteilt (von
Traditionalisten über chassidischen Punk
bis zu den Puristen), Klezmers neue Bedeutung
in kommerzieller Kultur (z.B. verkaufte
Itzhak Perlman die Klezmer-CD “In the
Fiddler´s House” international mehr als
250.000 mal) und Konzepte, jiddische Kultur
wieder allgemein zugänglich werden zu
lassen.
Im ersten Anhang geht Sapoznik
ausführlich die “jüdischen” Tonarten und
Tonleitern ein, ein zweiter Anhang
stellt die bekanntesten Tänze vor. Es
gibt ein Glossar, das verwendete jiddische
und hebräische Begriffe erklärt.
Klezmer! From Old World to Our World
ist bereits jetzt unabdingbares Standardwerk
für alle, die sich auf irgendeine Art
für Klezmer-Musik interessieren. Es wird
die Grundlage für eine Reihe weiterer
Bücher über das Genre sein, und es wird
darüber gestritten werden.
Es ist die erschöpfendste Lektüre über
das Thema und, das ist unstrittig, der
umfangreichste und gelungenste Versuch
einer Gesamtdarstellung. Die Idee einer
deutschen Ausgabe wird bereits geprüft.
Das Buch ist Ende 1999 erschienen..
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