Was also ist “Klezmer-Musik”?
Eine Musik, die eindeutig zu erkennen
ist und sich doch ständig verändert. Eine
Musik, die sich nur eingeschränkt mit
formalen Aspekten wie Repertoire, Arrangement
oder Interpretation beschreiben läßt.
Ein neues Symbol, besetzt mit Erwartungen
und zum Repräsentanten einer Kultur erkoren,
zu der viele Aschkenasim in den USA sonst
nur schwer Zugang finden. Eine Marketingschablone,
die von Veranstaltern, Musikern und Medien
je nach Bedarf benutzt wird. Eine Konzertmusik,
die endlich Anerkennung auf großen Bühnen
gewinnen konnte. Aber vor allem eine mitreißende
Tanzmusik, die schließlich wieder
im Leben der amerikanischen Juden ihren
Platz gefunden hat.
Was bedeutet “Klezmer-Revival”?
Letztendlich beschreibt der Begriff das
Phänomen nur unzureichend. Klezmer-Musik
war, trotz hartnäckiger falscher Vermutungen,
vor dem Beginn der 70er Jahre nie wirklich
"tot". Kein dramatischer Bruch
der Tradition ist zweifelsfrei feststellbar,
denn die Musik entwickelte sich durch
ständige Vermischung von Alt und Neu immer
weiter. Als traditionelle Hochzeitsmusik
verlor sie zunehmend an Bedeutung, verschwand
schließlich aus dem öffentlichen Leben
und wurde nur noch im privaten Umfeld
gespielt. Es war also das Interesse einer
breiten Zuhörerschaft, das es wiederzubeleben
galt.
Genau das passierte mit dem Klezmer-Revival
in den 90er Jahren: die Wiederentdeckung
einer musikalischen und kulturellen Tradition
durch ein immer größer werdendes Publikum.
Die Musiker wollten von Beginn an der
Musik kein Museum bauen, in dem nur ein
Abschnitt der Entwicklung fernab des Lebens
konserviert wird. Die modernen Klezmorim
nehmen alle Stufen der Entwicklung ernst,
stellen aber musikalische Grenzen immer
wieder in Frage und suchen nach einer
zeitgenössischen, künstlerisch relevanten
Interpretation. So wurde eine Tradition
belebt, gegenwartsrelevant umgesetzt und
in die Zukunft weitergeführt.
Dadurch konnte der Ast zum Stamm
der Musik selbst werden, um das Bild aus
den einleitenden Worten von Henry Sapoznik
aufzugreifen. Dieser neue kulturelle Stamm
hat inzwischen viele junge Zweige
hervorgebracht. Er hat auch wieder Verbindung
zu seinen Wurzeln jenseits des Ozeans
gefunden. Fast überall in Europa haben
sich engagierte Klezmer-Szenen entwickelt.
Besonders in den deutschsprachigen
Ländern experimentieren zahlreiche
Bands mit anhaltender Begeisterung mit
der Musik der osteuropäischen Juden.
Für viele Amerikaner ist es ein Rätsel,
warum besonders in Deutschland
das Interesse an Klezmer-Musik so groß
ist. Wie konnte das Land, dem Daniel
Goldhagen so effektvoll den genetisch
veranlagten Antisemitismus unterstellte,
zum einträglichsten Auftrittsort für amerikanische
Klezmer-Ensembles werden? Eine Erklärung
fällt schwer, einfache Antworten verbieten
sich. Wohl ist das Eisen noch zu heiß.
Bisher hat noch niemand gewagt, es aufzugreifen
vermutlich aus Angst, im Irrgarten der
Befindlichkeiten und des Mißtrauens zu
landen.
Trotzdem: Gibt es vielleicht sogar Parallelen
zwischen dem wachsenden Interesse in Deutschland
und den Vereinigten Staaten? Was den Aschkenasim
in Amerika zur Bestätigung der eigenen
kulturellen Besonderheit dient, nutzt
in Deutschland als vermeintlicher Beweis
der eigenen moralischen Aufrichtigkeit
vor dem Hintergrund der Fremdenfeindlichkeit
weiter Bevölkerungsschichten. Es scheint,
daß Klezmer-Musik die Chance der gefahrlosen
Annäherung an eine Kultur bietet, die
mit einer gebrochenen Geschichte und streitbaren
Glaubensrichtungen befrachtet ist. Ist
Klezmer-Musik vielleicht eine Möglichkeit,
dem Gefühl der Ohnmacht im Angesicht einer
brutalen Vergangenheit und einer verwirrenden
Gegenwart nun einen befreienden Zugang
zu dieser langsam wieder erlebbar werdenden
Kultur entgegenzusetzen?
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