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6. Klezmer is a continuum

piranha
 


Was also ist “Klezmer-Musik”?

Eine Musik, die eindeutig zu erkennen ist und sich doch ständig verändert. Eine Musik, die sich nur eingeschränkt mit formalen Aspekten wie Repertoire, Arrangement oder Interpretation beschreiben läßt. Ein neues Symbol, besetzt mit Erwartungen und zum Repräsentanten einer Kultur erkoren, zu der viele Aschkenasim in den USA sonst nur schwer Zugang finden. Eine Marketingschablone, die von Veranstaltern, Musikern und Medien je nach Bedarf benutzt wird. Eine Konzertmusik, die endlich Anerkennung auf großen Bühnen gewinnen konnte. Aber vor allem eine mitreißende Tanzmusik, die schließlich wieder im Leben der amerikanischen Juden ihren Platz gefunden hat.

Was bedeutet “Klezmer-Revival”? Letztendlich beschreibt der Begriff das Phänomen nur unzureichend. Klezmer-Musik war, trotz hartnäckiger falscher Vermutungen, vor dem Beginn der 70er Jahre nie wirklich "tot". Kein dramatischer Bruch der Tradition ist zweifelsfrei feststellbar, denn die Musik entwickelte sich durch ständige Vermischung von Alt und Neu immer weiter. Als traditionelle Hochzeitsmusik verlor sie zunehmend an Bedeutung, verschwand schließlich aus dem öffentlichen Leben und wurde nur noch im privaten Umfeld gespielt. Es war also das Interesse einer breiten Zuhörerschaft, das es wiederzubeleben galt.

Genau das passierte mit dem Klezmer-Revival in den 90er Jahren: die Wiederentdeckung einer musikalischen und kulturellen Tradition durch ein immer größer werdendes Publikum. Die Musiker wollten von Beginn an der Musik kein Museum bauen, in dem nur ein Abschnitt der Entwicklung fernab des Lebens konserviert wird. Die modernen Klezmorim nehmen alle Stufen der Entwicklung ernst, stellen aber musikalische Grenzen immer wieder in Frage und suchen nach einer zeitgenössischen, künstlerisch relevanten Interpretation. So wurde eine Tradition belebt, gegenwartsrelevant umgesetzt und in die Zukunft weitergeführt.

Dadurch konnte der Ast zum Stamm der Musik selbst werden, um das Bild aus den einleitenden Worten von Henry Sapoznik aufzugreifen. Dieser neue kulturelle Stamm hat inzwischen viele junge Zweige hervorgebracht. Er hat auch wieder Verbindung zu seinen Wurzeln jenseits des Ozeans gefunden. Fast überall in Europa haben sich engagierte Klezmer-Szenen entwickelt. Besonders in den deutschsprachigen Ländern experimentieren zahlreiche Bands mit anhaltender Begeisterung mit der Musik der osteuropäischen Juden.

Für viele Amerikaner ist es ein Rätsel, warum besonders in Deutschland das Interesse an Klezmer-Musik so groß ist. Wie konnte das Land, dem Daniel Goldhagen so effektvoll den genetisch veranlagten Antisemitismus unterstellte, zum einträglichsten Auftrittsort für amerikanische Klezmer-Ensembles werden? Eine Erklärung fällt schwer, einfache Antworten verbieten sich. Wohl ist das Eisen noch zu heiß. Bisher hat noch niemand gewagt, es aufzugreifen vermutlich aus Angst, im Irrgarten der Befindlichkeiten und des Mißtrauens zu landen.

Trotzdem: Gibt es vielleicht sogar Parallelen zwischen dem wachsenden Interesse in Deutschland und den Vereinigten Staaten? Was den Aschkenasim in Amerika zur Bestätigung der eigenen kulturellen Besonderheit dient, nutzt in Deutschland als vermeintlicher Beweis der eigenen moralischen Aufrichtigkeit vor dem Hintergrund der Fremdenfeindlichkeit weiter Bevölkerungsschichten. Es scheint, daß Klezmer-Musik die Chance der gefahrlosen Annäherung an eine Kultur bietet, die mit einer gebrochenen Geschichte und streitbaren Glaubensrichtungen befrachtet ist. Ist Klezmer-Musik vielleicht eine Möglichkeit, dem Gefühl der Ohnmacht im Angesicht einer brutalen Vergangenheit und einer verwirrenden Gegenwart nun einen befreienden Zugang zu dieser langsam wieder erlebbar werdenden Kultur entgegenzusetzen?

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