Virtual Klezmer

Interview mit Sophie Solomon
am 20.11.2004

Interview mit Sophie Solomon am 20.11.2004
anläßlich der Veleihung des Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik für das Album "Hiphopkhasene" am 21.11.2004 in Berlin.

Das Interview wurde auf Englisch geführt. Bei der hier vorliegenden Übersetzung wurde ersucht möglichst nah am Original zu bleiben.

gus: Erst mal vielen Dank Sophie, daß Du Zeit gefunden hast für dieses Interview.
Ich denke die meisten Leser (hier in Deutschland) wissen nicht besonders viel über Dich.
Könntest Du zu Anfang bitte etwas über Dich erzählen, über Deinen Werdegang und Deine musikalische Ausbildung?

Sophie: Ja gerne. Ich spiele Violine schon seit ich sehr sehr klein war, seit dem Alter von etwa 2 oder 3 Jahren. Ich habe mit einer klassischen Ausbildung angefangen - was großartig war. Aber ich denke ich war immer etwas - wild - für das Klassische. Ich kann mich erinnern daß ich mich immer hinsetzen mußte...
 

Nun, ich spielte klassische Musik etwa bis zu meinem 17 Lebensjahr und dann habe ich rebelliert und den klassischen Weg verlassen. Ich habe in Moskau gelebt, war dort DJ, in Amsterdam und überall in Frankreich.
Damals, als ich in Moskau lebte, begann ich mich das erste Mal für meine jüdischen Wurzeln zu interessieren, für die Seite meines Vaters. Und ich begann mir Klezmer-musik anzuhören. Insbesondere die Klezmatics waren die ersten die ich anhörte.

gus: Das muß irgendwann in den 80er Jahren gewesen sein, richtig?

Sophie: Oh nein, Sooo alt bin ich noch nicht! Es war in den Neunzigern.

gus: Jep, sie haben glaube ich Mitte der 80er angefangen...

Sophie: Jedenfalls, damals machte ich eine - sagen wir mal - intensivere Klezmer-Erfahrungen als ich mich mit der Musik beschäftigte und einige Jahre eigentlich nur diese Musik hörte.
Ich besuchte das KlezCamp, Klezmer-Festivals und lernte direkt von einigen der besten Klezmer-Musiker die es gibt (u.a. von Alicia Svigals, Michael Alpert, Frank London, Deborah Strauss, Zev Feldman). Ich habe eine quasi "natürliche" Gabe, machte daher sehr gute Fortschritte, kam sehr schnell rein in die Musik und nach Kurzem wurde es zu der Musik die ich am liebsten spielen wollte. Dann haben wir Oi Va Voi gegründet. Das ist etwa 5 Jahre her.
Nun - und als wir die Band gegründet hatten, alles was wir brauchten war: Eine Musik zu spielen die ein wenig verschieden war von dem was wir bis dato gemacht hatten. Wir alle kamen mehr oder weniger aus "Rock-o-Pop-o-Indi-DJ" und wir wollten etwas ungewöhnlicheres spielen. Und wir haben uns mit Zigeunermusik, mit ungarischer, klezmer usw. Musik auseinandergesetzt. Wir wollten jedoch etwas weniger "traditionelles" machen. Wir beschäftigten uns daher längere Zeit damit herauszufinden, was wir eigentlich spielen wollen. Das hat 4 Jahre gebraucht bis wir letztes Jahr das erste Album veröffentlichen konnten.

Zwischenzeitlich hat mich auch das "HipHop Khasene" - Projekt beschäftigt. Mit Socalled, Krakauer, Alpert usw. Es war mein Versuch etwas authentisches, jedoch auch sehr modernes zu schaffen, bzw. auf eine Art die die Welt wiederspiegelt aus der Socalled und ich kamen.
Ja, daraus entstanden diese Aufnahmen.
 

gus: Oh ja, verstehe. Ist Geige eigentlich das einzige Instrument das Du spielst?

Sophie: Geige ist meine "Berufung" wenn Du so willst. Ich spiele auch Klavier, Accordeon und ich spiele auch mittlerweile eine Menge Keyboard. Es ist jedoch ein großer Unterschied zwischen Geige und den übrigen Instrumenten die ich spiele. Geige ist quasi eine Art Erweiterung meiner selbst.
Ich muß dabei nicht nachdenken, und wenn ich anfange dabei nachzudenken, dann ist etwas nicht in Ordnung. Es ist irgendwie natürlich.

gus: Du hast also auch Klavier gespielt. Ich habe mich schon ein paar Mal gefragt, warum Klavier eigentlich nicht wirklich ein Klezmer-Instument ist. Oder kennst Du vielleicht Klezmer-Stücke auf dem Klavier?

Sophie: Ich denke der Grund warum es kein Klezmer- Instrument ist liegt daran, daß es nicht im Shtetl gespielt wurde, genausowenig wie z.Bsp. das Accordeon auch kein typisches Klezmer Instrument war. Es wurde ja auch erst später in die Klezmer Musik aufgenommen bei Leuten wie Alan Bern, Brave old World. Er hat dieses Instrument erst dahingehend weiterentwickelt.

gus: Ich kenne nicht viele in der modernen Klezmer Musik die Klavier gespielt haben.

Sophie: Oh, es gibt schon einige. Das Klavier im modernen Klezmer wurde meist im 1950er New-York Stil gespielt. Ein phantastischer Musiker, der auch heute noch spielt ist Pete Sokolow. Er ist sozusagen der "Sonnenaufgang" des Klezmer Klaviers. Er spielt sehr modern, es ist weniger ein traditioneller Ansatz den er verfolgt, jeher Klezmer New York Swing.

gus: Als ich das erste Mal die Hip-Hip Khasene Aufnahmen gehört habe fragte ich mich, wie hast Du es geschafft, diese doch ziemlich bekannten illustren Persönlichkeiten für Dein Projekt zu gewinnen? Sind doch einige dabei die nicht unbedingt das Licht der Öffentlichkeit suchen wie z.Bsp. Zev Feldman.

Sophie: *Lachen* - Ich habe nett gefragt...
Ja das ist lustig, denn gerade heute habe ich wieder daran gedacht, denn es ist genau 2 Jahre her. Ich habe ein paar Postkarten an einiger der Musiker geschickt um "Hallo" zu sagen und dass ich hier in Berlin bin um den Preis (Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik) entgegenzunehmen. Ich war mir nicht ganz sicher ob sie davon gehört hatten.
Es ist jetzt 2 Jahre her dass wir das Album eingespielt haben. Wir waren so begeistert, wir haben die Platte in einer solchen Geschwindigkeit aufgenommen. In einem Studio in East London. In DREI Tagen, direkt nach dem Festival in Krakau und vor einem Klezmer Festival in London. Alle waren in Krakau und sind nach London gekommen. Daher hatten wir ein wenig Zeit dazwischen. Ich mußte es nur schaffen alle zu inspirieren, sich daran zu beteiligen. Also ein wenig günstige Umstände aber auch weil ich geschafft hatte es den Musikern als etwas darzustellen - zusammen mit Socalled - was nicht nur eine Art Klezmer-Gimmick sein sollte, sondern durchaus sehr authentisch und traditionell. Insofern dass es sowohl die traditionelle Seite der Klezmer Musik behandeln, als auch Klezmer weiter nach Vorne bringen sollte. Daher war es sehr wichtig für mich, dass solche Leute wie Zev Feldman, David, Michael und Frank dabei waren. Es hat mir eine gewisse Erdung im Projekt garantiert.

gus: Dann habt ihr ja nicht gerade viel Zeit gehabt um zu proben, richtig?

Sophie: Nein, nicht wirklich. Wir haben es einfach nur - gespielt. Und es hat funktioniert.

gus: Betrachtest Du dich als den nächsten Schritt in der Klezmer-Musik, quasi nach den Klezmorim in den 70er Jahren, den Klezmatics als typische Vertreter der 80er und John Zorn mit seinem Radical jewish Music Projekten als 90er Jahre Klezmer? Denkst Du dass der Einfluss von HipHop-Launge usw der notwendigerweise nächste Entwicklungsschritt im Klezmer ist?

Sophie: Hmmm, das ist eine interessante Frage. Ja, ich denke, dass das was wir, was Socalled spielt, die nächste Generation ist. Weil wir einfach die nächste Generation sind. Wir sind einfach in einer anderen Zeit aufgewachsen als z.Bsp. die Klezmatics, wir gehören zu einer anderen Generation und unsere Musik spiegelt das wider.  

gus: Ja schon, aber man kann versuchen Traditionen zu bewahren und man kann andererseits auch versuchen einen Schritt weiter zu tun.

Sophie: Ja, das stimmt natürlich. Ich persönlich liebe traditionelle Klezmer Musik, aber für mich ist die Musik die ich spiele auch Ausdruck der Welt in der wir leben. Klezmer war immer schon eine Musik der lebendigen Traditionen, hat immer schon Einflüsse anderen Stile aufgenommen. Es war immer irgendwo in Bewegung. Und das ist auch ein Teil von dem was ich tun will.
Aber auf der anderen Seite, was so faszinierend an der HipHop Khasene war, ist die Tatsache das die Beats die socalled macht, der HipHop den Socallt spielt, eigentlich nicht sehr modern sind. Sie sind ein ferner Ruf von - von den Beasty Boys, Eminem - oder wem auch immer. In der Tat sind sie ziemlich "Low-Fi", diese vielschichtigen Textebenen die sich auf alte jüdische Aufnahmen beziehen, diese Samples auf alten Aufnahmen aus den 20 Jahren, sind zwar modern aber auch sehr sehr historisch.

gus: Klezmer hat sich ja mit so ziemlich allen Stilrichtungen vermischt die nur vorstellbar sind: Reggae, Tango usw.

Sophie: Dem gegenüber war ich immer etwas reserviert. Ich wollte immer Vermischungen, denn viel von dem was wir spielen handelt von Vermischungen (Fusion) aber man muß dabei immer sehr vorsichtig sein. Es ist immer leicht zu sagen "Hey, laß uns klezmer vermischen mit - ja mit Reggae zum Beispiel - das ist cool. Aber Du mußt dir immer sicher dabei sein dass es auch funktioniert, daß es nicht einfach nur das krampfhafte Zusammenkleben zweier Stile ist um der Sache wegen.

gus: Manchmal funktioniert es, manchmal nicht. Man bewegt sich immer am Abgrund mit der Gefahr dass man runterfällt. Stimmt.
Was ist eigentlich für die nähere Zukunft geplant? Irgendwas in der Richtung? Was wird das Nächste sein? Drum&Bass Mitzvah?

Sophie: Bis jetzt ist nichts geplant zusammen mit Socalled. jeder ist mit seinen eigenen Projekten beschäftigt. Die Solomon & Socalled Angelegenheiten sind quasi auf Eis im Moment.

gus: War es also ein einmaliges Projekt, das nicht weiter fortgeführt werden wird?

Sophie: Möglich. Möglich. Ich weiss nicht. *Lachen*. Es war für sich genommen eine großartige Sache, eine Momentaufnahme, ein Augenblick wurde eingefangen. Es war sehr aufregend.
Wir haben gerade ein für Paar in Toronto gespielt, eine richtige HipHop- Hochzeit. Das Paar hat einen unserer Auftritte gesehen und sie haben beschlossen zu heiraten. Wir haben ihnen eine komplette jüdische Hochzeit gespielt wie sich's gehört. Also - 2 Menschen haben geheiratet die ansonsten vielleicht nicht geheiratet haben.
Ich bin momentan sehr eingespannt mit Oi Va Voi. Wir nehmen das nächste Album auf. Das nimmt mich sehr in Anspruch. Vielleicht gibt es ein neues Projekt mit Socalled, nicht in absehbarer Zukunft.

gus: Du bist gerade auf Tour mit Oi Va Voi?

Sophie: Nein, wir sind eigentlich nicht auf tour. Wir haben gerade in der Muffathalle in München gespielt und bei MTV music awards. Aber eigentlich sind wir viel zu beschäftigt mit unserer neuen Platte. MTV kann man nicht ablehnen, genausowenig Muffathalle. Aber wir werden wieder in Deutschland auf Tour gehen im neuen Jahr.

gus: Ja, also vielen vielen Dank für die Zeit die Du dir genommen hast und für Deine Antworten.

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