Jason Rosenblatt spielt Klezmer
auf der diatonischen Mundharmonika. Als Shtreiml
2003 ihre erste CD ("Harmonica Galitzianer")
veröffentlichten, war das noch eine kleine
Sensation, und doch auch schon mehr. Denn was
auf den ersten Blick originell scheint, macht
musikalisch Sinn, wenn man das
Instrument so beherrscht wie Rosenblatt. Jenseits
aller Effekthascherei hat Rosenblatt eine musikalische
Sprache entwickelt, die Tiefe und Subtilität
genauso kennt wie zwingende Grooves und
Virtuosität. Sein Klezmerstil ist äußerst
komplex, nicht jedoch als Selbstzweck, sondern,
weil er viel mitzuteilen hat und die gesanglichen
Qualitäten seines Instrumentes bis an die
Grenzen auslotet.
Die scheinbare Beschränkung, eine diatonische
Mundharmonika chromatisch zu spielen, bereichert
das Vokabular dabei um wunderbare Nuancen: gedeckte
Töne, angedeutete Ornamente, Halbes, Schmutziges,
Explosives, dazu Slurs und Slides, die auf manch
anderem Instrument übertrieben klängen.
Nun spielt Jason
Rosenblatt nicht allein, sondern hat mit
Shtreiml in Montreal eine Klezmerband gegründet,
die eine der positivsten Überraschungen
der letzten Jahre ist: überaus frisch,
spielfreudig und kommunikativ. Dabei nimmt
Shtreiml mit Bands wie den New Yorker Klez
Dispensers einen interessanten Platz in
der Szene ein: junge, nordamerikanische
Bands, die Spaß am Revival innerhalb
des Revivals haben, die nicht nur die europäischen
Wurzeln, sondern gerade auch die Amerikanisierung
der Klezmermusik künstlerisch beleuchten.
Bands, die sich ebenso gern von Mickey Katz
und Sammy Musiker beeinflussen lassen wie
von Brandwein, Beckerman und Belf. |
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'Spicy Paprikash', kaum ein Jahr nach dem Debütalbum
erschienen, ist in diesem Sinne schon fast ein
Konzeptalbum: eine nicht zu strenge Hommage
an die 40/50er Jahre, in Aufmachung und Klangidee.
Mit hörbarem Vergnügen kreiert die
Band dabei ihren eigenen Stil, setzt Hammond
B3 und Fender Rhodes ein und beschäftigt
eine Reihe exzellenter Gastmusiker.
Im Vordergrund stehen tanzbare, energetische
Stücke, mit einem Faible für's Rumänische.
Einige wunderbare, Neuland erforschende Eigenkompositionen,
wie Rosenblatt's titelgebender Szenehit 'Uncle
Tibor's Spicy Paprikash'. Intelligente und freudemachende
Coverversionen von Klassikern
jüdisch-amerikanischer Unterhaltungskultur:
Mickey Katz' 'Trombonic Tantz', Sammy Musikers
'Sam Shpielt' oder Moishe Oyshers 'Halevai'.
Der legitime Nachfolger Oyshers und Katz',
Josh Dolgin alias DJ Socalled, singt dabei,
wie nur er das kann. Ich kenne wenige, die sich
so ernsthaft und leidenschaftlich mit alten
Aufnahmen auseinandersetzen: auch Dolgins bekannt
wohlinformiertes Akkordeonspiel profitiert hörbar
von seiner eindrucksvollen Plattensammlung.
Philadelphias Rachel Lemisch zelebriert einen
wunderschönen Posaunenton von schon fast
vornehm lyrischer Qualität. Ihr fundiertes
Rhythmus-Posaunenspiel ist leider zu selten
zu hören. Rachel Lemisch war 2003 noch
neu in der Band und ist deshalb auf dieser Aufnahme
noch nicht voll repräsentiert. Thierry
Arsenault ist einer der gefragtesten Schlagzeuger
Montreals, dazu passionierter Vintage-Drumset-Bastler.
Klanggourmand der er ist, produziert er bei
Shtreiml einen exzellenten, transparenten Sound
und hält eine wohltuend wohlkalkulierte
Balance zwischen Drive und Gewicht.
Bassist Ariel Harrod wechselt virtuos zwischen
Klezmer-, Swing-, Blues- und rumänischem
Vokabular, bildet ein starkes Duo mit Arsenault
und interpretiert die Melodik sensibel.
Und noch einmal zurück zu Jason Rosenblatt:
so sehr ich seine Virtuosität, seinen Rhythmus
und seinen Witz bewundere, beeindruckt mich
am meisten die Tiefe, die er bei schlichten
Stücken wie einem Nign aus Beregovskis
chassidischer Sammlung erreicht. So gespielt
ist eine Mundharmonika kein Klischee, sondern
Klang, und Musik.
So gespielt passt auch die diatonische Mundharmonika
in die traditionelle osteuropäisch-jüdische
Klangwelt, zu Fidl und Tsimbl. Wie das übrigens
Harmonika-Legende Howard Levy auf Rosenblatts
eigener Hochzeit mit Steve Greenman und Pete
Rushefsky eindrucksvoll demonstrierte.
Einziges Manko der CD: die Frische und Energie,
die ich aus Shtreimls Konzerten kenne (siehe
auch Günther Schöllers Besprechung),
haben sie nicht einfangen können. Die Platte
klingt ausgezeichnet, der Mix ist gut und transparent.
Doch etwas weniger Transparenz, etwas weniger
Arrangement, der
Verzicht auf ein paar Overdubs hätten mehr
Druck und Lebendigkeit erlaubt.
Dann aber wären viele interessante Details
verloren gegangen. Und eine Platte ist eine
Platte, ein Konzert ein Konzert.
Diese Platte gefällt zudem durch die sehr
gelungene, mit Retro-Elementen spielende Gestaltung.
Und sie ist ein Dokument: Josh Dolgin und Ariel
Harrod gehören inzwischen nicht mehr zur
Band, neuer Bassist ist der in Montreal einschlägig
bekannte Adam Stotland.
Mit dem herausragenden Oud-Spieler Ismail Hakki
Fencioglu als Dauergast erforscht Shtreiml derzeit
die Verbindungen zwischen Klezmer und türkischer
Musik.
Die nächste CD wird gerade jetzt vorbereitet.
Ein Grund zur Vorfreude.
Viele Klangbeispiele auf der gutgemachten Website:
http://www.shtreiml.com
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