Virtual Klezmer

Shtreiml
Spicy Paprikash

(Besprechung: Christian Dawid)

Shtreiml - Spicy Paprikash (2004)

Die Besetzung:
Jason Rosenblatt - Mundharmonika, Keyboards
Josh Dolgin - Akkordeon, Gesang
Thierry Arsenault - Schlagzeug
Ariel Harrod - Bass
Rachel Lemisch - Posaune

Gäste: Nicolae Margineanu, Cymbalom - Susan Watts, Gesang/Trompete -
Madelien Verheij, Violine - Andrew Skowronski, Saxophon - Abby Rosenblatt,
Gesang - Eli Rosenblatt, Violine - Avi Rosenblatt, Klarinette

 


Lieder:

1. Uncle Tibor's Spicy Paprikash (Jason Rosenblatt) 1:58
2. Rachel's Bulgar (Jason Rosenblatt) 2:42
3. Halevai (Halevy) 3:01
4. Nign (Trad. Arr. Shtreiml) 3:17
5. Gas-Nign (Trad. Arr. Jason Rosenblatt) 4:04
6. Sam Shpielt (S. Musiker) 3:02
7. Rachel's Hora (Jason Rosenblatt) 4:17
8. Hora Ca Din Caval (Trad. Arr. Shtreiml) 1:58
9. Romanian Sirba (Trad. Arr. Shtreiml) 1:51
10. Trombonic Tantz (Farber-Katz) 4:43
11. Galitzianer Tantz (S. Beckerman, Arr. Shtreiml) 6:34
12. Rumania (A. Olshanetzky) 2:28


Jason Rosenblatt spielt Klezmer auf der diatonischen Mundharmonika. Als Shtreiml 2003 ihre erste CD ("Harmonica Galitzianer") veröffentlichten, war das noch eine kleine Sensation, und doch auch schon mehr. Denn was auf den ersten Blick originell scheint, macht musikalisch Sinn, wenn man das
Instrument so beherrscht wie Rosenblatt. Jenseits aller Effekthascherei hat Rosenblatt eine musikalische Sprache entwickelt, die Tiefe und Subtilität genauso kennt wie zwingende Grooves und
Virtuosität. Sein Klezmerstil ist äußerst komplex, nicht jedoch als Selbstzweck, sondern, weil er viel mitzuteilen hat und die gesanglichen Qualitäten seines Instrumentes bis an die Grenzen auslotet.
Die scheinbare Beschränkung, eine diatonische Mundharmonika chromatisch zu spielen, bereichert das Vokabular dabei um wunderbare Nuancen: gedeckte Töne, angedeutete Ornamente, Halbes, Schmutziges, Explosives, dazu Slurs und Slides, die auf manch anderem Instrument übertrieben klängen.

Nun spielt Jason Rosenblatt nicht allein, sondern hat mit Shtreiml in Montreal eine Klezmerband gegründet, die eine der positivsten Überraschungen der letzten Jahre ist: überaus frisch, spielfreudig und kommunikativ. Dabei nimmt Shtreiml mit Bands wie den New Yorker Klez Dispensers einen interessanten Platz in der Szene ein: junge, nordamerikanische Bands, die Spaß am Revival innerhalb des Revivals haben, die nicht nur die europäischen Wurzeln, sondern gerade auch die Amerikanisierung der Klezmermusik künstlerisch beleuchten. Bands, die sich ebenso gern von Mickey Katz und Sammy Musiker beeinflussen lassen wie von Brandwein, Beckerman und Belf.

'Spicy Paprikash', kaum ein Jahr nach dem Debütalbum erschienen, ist in diesem Sinne schon fast ein Konzeptalbum: eine nicht zu strenge Hommage an die 40/50er Jahre, in Aufmachung und Klangidee. Mit hörbarem Vergnügen kreiert die Band dabei ihren eigenen Stil, setzt Hammond B3 und Fender Rhodes ein und beschäftigt eine Reihe exzellenter Gastmusiker.
Im Vordergrund stehen tanzbare, energetische Stücke, mit einem Faible für's Rumänische. Einige wunderbare, Neuland erforschende Eigenkompositionen, wie Rosenblatt's titelgebender Szenehit 'Uncle Tibor's Spicy Paprikash'. Intelligente und freudemachende Coverversionen von Klassikern
jüdisch-amerikanischer Unterhaltungskultur: Mickey Katz' 'Trombonic Tantz', Sammy Musikers 'Sam Shpielt' oder Moishe Oyshers 'Halevai'.

Der legitime Nachfolger Oyshers und Katz', Josh Dolgin alias DJ Socalled, singt dabei, wie nur er das kann. Ich kenne wenige, die sich so ernsthaft und leidenschaftlich mit alten Aufnahmen auseinandersetzen: auch Dolgins bekannt wohlinformiertes Akkordeonspiel profitiert hörbar von seiner eindrucksvollen Plattensammlung.
Philadelphias Rachel Lemisch zelebriert einen wunderschönen Posaunenton von schon fast vornehm lyrischer Qualität. Ihr fundiertes Rhythmus-Posaunenspiel ist leider zu selten zu hören. Rachel Lemisch war 2003 noch neu in der Band und ist deshalb auf dieser Aufnahme noch nicht voll repräsentiert. Thierry Arsenault ist einer der gefragtesten Schlagzeuger Montreals, dazu passionierter Vintage-Drumset-Bastler. Klanggourmand der er ist, produziert er bei Shtreiml einen exzellenten, transparenten Sound und hält eine wohltuend wohlkalkulierte Balance zwischen Drive und Gewicht.
Bassist Ariel Harrod wechselt virtuos zwischen Klezmer-, Swing-, Blues- und rumänischem Vokabular, bildet ein starkes Duo mit Arsenault und interpretiert die Melodik sensibel.

Und noch einmal zurück zu Jason Rosenblatt: so sehr ich seine Virtuosität, seinen Rhythmus und seinen Witz bewundere, beeindruckt mich am meisten die Tiefe, die er bei schlichten Stücken wie einem Nign aus Beregovskis chassidischer Sammlung erreicht. So gespielt ist eine Mundharmonika kein Klischee, sondern Klang, und Musik.
So gespielt passt auch die diatonische Mundharmonika in die traditionelle osteuropäisch-jüdische Klangwelt, zu Fidl und Tsimbl. Wie das übrigens Harmonika-Legende Howard Levy auf Rosenblatts eigener Hochzeit mit Steve Greenman und Pete Rushefsky eindrucksvoll demonstrierte.

Einziges Manko der CD: die Frische und Energie, die ich aus Shtreimls Konzerten kenne (siehe auch Günther Schöllers Besprechung), haben sie nicht einfangen können. Die Platte klingt ausgezeichnet, der Mix ist gut und transparent. Doch etwas weniger Transparenz, etwas weniger Arrangement, der
Verzicht auf ein paar Overdubs hätten mehr Druck und Lebendigkeit erlaubt.
Dann aber wären viele interessante Details verloren gegangen. Und eine Platte ist eine Platte, ein Konzert ein Konzert.

Diese Platte gefällt zudem durch die sehr gelungene, mit Retro-Elementen spielende Gestaltung. Und sie ist ein Dokument: Josh Dolgin und Ariel Harrod gehören inzwischen nicht mehr zur Band, neuer Bassist ist der in Montreal einschlägig bekannte Adam Stotland.
Mit dem herausragenden Oud-Spieler Ismail Hakki Fencioglu als Dauergast erforscht Shtreiml derzeit die Verbindungen zwischen Klezmer und türkischer Musik.
Die nächste CD wird gerade jetzt vorbereitet.
Ein Grund zur Vorfreude.

Viele Klangbeispiele auf der gutgemachten Website:
http://www.shtreiml.com

 

© 2005 by Christian Dawid. All rights reserved.; Disclaimer
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