Adrienne Cooper war u.a. durch Programme
mit dem Pianisten Zalmen Mlotek bekannt geworden.
Ihre Interpretationen jiddischer Lieder schienen
mir zu dieser Zeit einmalig in der gesamten
Szene zu sein, sie hatte als Interpretationslehrerin
bei KlezKamp einen ungeheuren Einfluß auf die
gesanglichen Interpretationen der nächsten Generation.
Stilistisch waren Kapelye und sie sehr
unterschiedlich; Kapelye arbeitete kaum
mit freien Interpretationen, während diese für
Cooper ein wichtiges Mittel waren. Ein Höhepunkt
ihres Schaffens stellt übrigens ihre 1995 in
Berlin produzierte CD „Dreaming in Yiddish“
dar; sie zu beschaffen ist jedoch nicht einfach,
da Label und Vertrieb im Streit trotzig den
Weg der Pleite beschritten.
Pete Sokolov ist eine der legendärsten Figuren
des Klezmer-Revivals, das für ihn gar nicht
existierte, da er sein ganzes Leben diese Musik
gespielt hatte. Sapoznik und Sokolov arbeiteten
seit längerem zusammen; als Forscher war Sapoznik
interessiert, ältere Klezmorim aufzuspüren und
mit ihnen zusammenzuspielen. Sokolov kannte
sie alle und brachte sie mit Sapoznik in Kontakt.
Im Gegenzug besorgte Sapoznik Gigs für Sokolov.
Sokolov spielte u.a. mit den Epstein Brothers,
und seine eigene Original Klezmer Jazz Band
hat schon eine Weile Kultstatus. Bandleader
ist er auch für Klezmer Plus!, Auseinandersetzungen
mit Kapelye´s musikalischem Leiter Ken
Maltz schienen vorprogrammiert. Diese jedoch
hielten sich in Grenzen: Sokolov zeigte sich
entzückt über Maltz´s Können und dessen Disziplin.
Schon seit einiger Zeit arbeitete Sapoznik
zusammen mit dem Radioproduzenten Andy Lanset
an einem Projekt über jiddisches Radio in den
USA von 1925-1955. Schnell faßte er den Entschluß,
dieses Projekt auch für Kapelye zu erschließen.
Die neue Besetzung der Band erweiterte ihre
musikalischen Möglichkeiten erheblich und ließ
eine CD zum Thema möglich werden. 1994 ging
man in New York nach sechs Jahren wieder ins
Studio.
Die Idee war, den Eindruck zu vermitteln, als
drehe jemand in den zwanziger oder vierziger
Jahren unentschlossen an seinem Röhrenradio
herum auf der Suche nach einem jiddischen Sender,
der Interessantes bringt. Und da kommt einiges
zusammen: Nachrichten, Werbung, Live-Shows und
Musik. Wenn man weiß, daß im Radio zu dieser
Zeit alles live im Studio eingespielt wurde,
beginnt es interessant zu werden. Kapelye
hält sich an ein Drehbuch, das Sapoznik
mit Cooper geschrieben hat, und zündet ein Feuerwerk.
Um es vorwegzunehmen: es ist eine großartige
CD, mit Abstand das Beste, was bis dahin im
Klezmer-Revival produziert wurde; das gilt meiner
bescheidenen Meinung nach bis heute. Um Mißverständnissen
vorzubeugen: natürlich kann man sich über Musik
streiten, das ist schließlich eine Frage des
persönlichen Geschmacks. In ihrer Einheit aus
Musik und Konzept steht diese CD jedoch einmalig
da, niemand hatte so etwas je gemacht, niemals
wurde es so genial gemacht. Kapelye
schlugen mit der Radio Show einen
Weg ein, der für das amerikanische Klezmer-Revival
völlig neu war, funktionierten doch alle bekannte
Bands ausschließlich über Musik.
Und genau das brach der Band den Hals. Das
potentielle Publikum erwartete Musik
und war an historischen Kontexten nicht interessiert.
Ein Fauxpas einer Veranstalterin in Utrecht/Holland
mag das illustrieren: während die Band die Radio
Show in einer Konzerthalle aufführte, besaß
sie die Peinlichkeit, Henry Sapoznik einen Zettel
auf der Bühne in die Hand zu drücken, auf welchem
geschrieben stand: „Stop talking. Play music.“
Das Klischée von Klezmer-Musik, der fröhliche
singende und tanzende Jude, hatte gesiegt. Obwohl
zwei gut organisierte Konzerte in Berlin unmittelbar
nach Utrecht äußerst erfolgreich verliefen,
war die Radio Show nicht mehr zu retten.
Die Band bekam Ärger mit Shanachie: die CD verkaufe
sich schlecht. Veranstalter und Label hatten
offensichtlich kein Interesse daran, den Kontext
amerikanischer Klezmer-Musik zu vertiefen; sie
wollten lediglich Musik verkaufen. Auch mit
diesem Hintergrund ist die CD einmalig.
Kapelye begann wieder, Bar Mitzvahs
mit Standardrepertoire zu spielen, doch daran
hatte Sapoznik kein Interesse. Diese Gigs spielte
er mit Sokolovs Klezmer Plus!, außerdem
hatte er bereits eine andere Band mit Margot
Leverett und Lauren Brody gegründet. Kapelye
sah das mit Recht als Abkehr an. Etwa um
1998 verließ Henry Sapoznik die Band. Ken Maltz
und Eric Berman spielen in wechselnden Besetzungen
noch immer als Kapelye. Trotzdem scheint
es, als sei diese Ära vorerst abgeschlossen.
1. WDAS, Philadelphia
Die Show, die von Harry Kandel gesponsort wurde.
Eröffnet wird sie von dem Instrumentalstück
"Unzer Toyrele" ("Unsere Torah"),
das Kapelye durch den Klarinettisten
Dave Tarras kennenlernte, der dieses Stück 1928
aufnahm. "Di Mame iz Gegangen" kennt
man von einer Aufnahme von Kandel's Orchestra
aus dem Jahre 1917, sie ist bereichert um die
Lieder "Di Mama Hot Mikh Geshikt"
und "Di Saposhkelech". Beschlossen
wird dieser Teil von einer Werbung für Kandels
Laden.
2. WCOP, Boston
"Levine, the Big Man", eine Hommage
an Charles A. Levine, der mit seinem Piloten
Clarence Chamberlin 1927 per Flugzeug den Atlantik
überquerte und, Navigation war seine Stärke
nicht, in Eisleben statt in Berlin landete.
Die B-Seite von „Levine and his Flying Machine“.
3. WSBC, Chicago
Das Radio-Girl, begrüßt sie in diesem Teil.
Urprünglich ein Bühnenstück mit Molly Picon
(Musik: Joseph Rumshinsky), verwandelten es
Kapelye in die "Mystery Soprano"
und deren Ansager Russell Fleysh, nachdem sie
eine Aufnahme des Liedes "Di Primadonna"
gefunden und beschlossen hatten, dieses Lied
auf die Bühne zu bringen. Als Bühnenstück war
"The Radio Girl" übrigens ein Flop;
Molly Picon überließ das Studio für die Aufnahme
der talentierten Lucy Levine. Achtung: die "Mameloschn"-Werbung!
4. WBBC, Brooklyn
Die "Brooklyn Talent Hunters", ein
fiktives Beispiel der zahllosen Talente-Shows
dieser Zeit. Der Beitrag des jungen Talentes
Hyman Shuster, "Sixteen Tons", ist
eine Cover-Version von Mickey Katz's Adaption
des Protestliedes von Tennessee Ernie Ford,
der es wiederum von Merle Travis hat. Bemerkenswert!
Die Sponsoren gab es wirklich: "Joe and
Paul's", eine Bekleidungskette für Herren.
5. WEVD, New York
“Khanele di khazente”. Frauen ist es nach jüdischem
Gesetz verboten, in Synagogen zu singen, trotzdem
gab es sehr viele Kantorinnen, die zum Teil
sehr populär waren und überall sangen -- nur
nicht in der Synagoge. Adrienne Cooper ist Khanele
die Kantorin und singt "Kol Adoyshem Yekholel
Ayolos". Gesponsort von "Yenem's".
Das „EVD“ im Sendernamen steht übrigens für
„Eugene V. Debbs“, einem legendären Gewerkschaftsführer.
WEVD sendet bis heute einmal wöchentlich die
„Forverts Hour“, eine jiddische Sendung, die
von der in New York erscheinenden jiddischen
Zeitung „Forverts“ gesponsort wird. Allerdings
steht WEVD im Moment zum Verkauf; im Gespräch
ist ein Disney Sports Channel.
6. WHN, New York
"Yidderbugs", nach dem Modell von
"Yiddish Melodies in Swing", das von
1939-1955 auf WHN existierte. Jiddische Musik
stand ihrer Umgebung kulturell aufgeschlossen
gegenüber, man hört ein deutliches Beispiel
amerikanischen Einflusses. Swing gehört genauso
zur jiddischen Musik dieser Zeit wie die russische
Melodie zu "Papirossn". Zwei Lieder
werden gebracht: "Samson and Delilah"
(Sam Medoff) und "Abi gezint" (A.
Ellstein/J. Kalisch).
7. KGFJ, Los Angeles
Das Instrumentalstück "Di Lustige Khsidim".
In der Show "A Gast in Shtib" (Ein
Gast in der Stube) werden folgende Stücke vorgestellt:
ein Dave-Tarras-Bulgar, das Medley "Berditchever
Khusidl/Mazl Tov Mekhutonim", Henry Sapozniks
Version des Liedes "Ikh Hob Gekent a Meydele",
das er von seiner Mutter gelernt hat, sowie
"Dem Nayen Sher".
Zusammenfassend:
Höhepunkt und Abschluß von Kapelye´s recording
career.
Wertung:
Ausgezeichnet. Das Booklet ist sehr informativ
und sehr schön gestaltet. Die Rückseite der
CD ziert eine Zeichnung des New Yorker Cartoonisten
Ben Katchor
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