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Rita Ottens & Joel Rubin – Klezmer-Musik

Besprechung: ( Gus)

Rita Ottens & Joel Rubin – Klezmer-Musik
Bärenreiter-Verlag 1999
ISBN 3-7618-1400-3

Das im November 1999 im Verlag Bärenreiter erschienene Buch der beiden Musikwissenschaftler Rita Otten und Joel Rubin ist eines der wenigen in deutsche Sprache verfügbaren Werke zu Klezmer-Musik. (Anmerkung: Separat zum Buch ist die CD Oytsres – Treasures (Klezmer-Musik 1908 - 1996) erschienen.)

Ohne Zweifel handelt es sich bei den Autoren um einflußreiche Persönlichkeiten nicht nur im musikethnologischen Bereich, sondern auch als aktive Musiker. So ist Joel Rubin ein ausgezeichneter Klarinettist und hat mehrere CDs mit historisch neo-traditionellem Klezmer veröffentlicht, z.B. mit den Epstein-Brothers oder mit dem hervorragenden Cymbalisten und Accordeonisten Joshua Horowitz .

Das Buch mit dem vielsagenden Titel „Klezmer Musik“ soll eine Zusammenfassung der musikethnologischen Arbeit des Paares Ottens/Rubin sein.  - So weit so gut.

Es stellen sich folgende Fragen:

  • Worüber schreiben die Autoren? (Was ist die Intension des Buches?)
  • Über welche Musik wurde geschrieben – Klezmer ist ein weites Feld!
  • Für wen wurde das Buch geschrieben? (Die Frage der Zielgruppe.)
  • Wie ist die Qualität des Buches? (Ist es ein gutes Buch?)

Das Buch auf dem Tisch (von ferne betrachtet):

Das Werk wurde als Paperback herausgegeben.
Es ist mit 20.- DM relativ günstig.
Warum wurde diese Entscheidung getroffen? Warum wurde nicht eine aufwendigere Ausgabe gestaltet mit einem Hardcover und mit ordentlichen Bildern statt der windigen scharz-weiß-Aufnahmen schlechter Druckqualität? (Investiert man nur 20.- in ein Musikbuch? Oder: Wissenschaftliche Fachbücher kosten großteils 80.- bis 100.-)
Natürlich - eine Frage des Zielpublikums.

Der Titel des Buches lautet „Klezmer-Musik“. Das ist sehr allgemein und erweckt der Anspruch, als hier würde umfassend über eine gesamte Musikgattung geschrieben. Ist das der Fall?  - Nein!

Meiner Ansicht nach haben einige Autoren etwas unglückliche Buchtitel gewählt (Henry Sapoznik’s „Klezmer!“ oder Seth Rogovoy’s „the essential Klezmer“). Sie sagen nichts über den Inhalt eines Buches aus! Dieselben nichtssagenden Titel - und dabei sind doch alle 3 Werke so verschieden. Sie erzählen alle über eine andere Musik aus einem anderen Blickwinkel.
Also: Rubin/ Ottens sind nicht allein, was einen schlechten Buchtitel anbelangt


Das Buch in der Hand (etwas näher herangeholt):

Inhalt (mit Seitenangaben in Klammern) :

  • Jiddische Kultur im Stalinismus (19-40)
  • Spötter und Narren: Die Letsonim von Aschkenas (40-67)
  • Klezmer-Musik in Osteuropa (67-157)
  • Blütezeit im 19. Jahrhundert. Die großen Virtuosen (157-179)
  • Klezmer-Musik in Amerika (179-285)
  • Die Klezmer-Musik seit 1975 (285-313)
  • (Anhang).
 

Wenn man die Gliederung des Textes betrachtet, wird sofort deutlich, daß der Schwerpunkt des Werkes in der historischen Klezmer-Musik zu suchen ist. Allein vom Umfang nimmt das Kapitel „Klezmer-Musik in Osteuropa“ den gewichtigsten Teil des Buches ein. Auch das Kapitel über “Klezmer-Musik in Amerika“ ist umfangreich. Es dreht sich hierbei um die Klezmer-Musik vor dem 2. Weltkrieg.

Zeitgenössische Strömungen der Musik bleiben außen vor und werden nur sehr oberflächlich im letzten Kapitel auf nicht mal 30 Seiten behandelt


Das Buch aufgeschlagen (genauer hingesehen):

Obwohl das Buch einen historischen Überblick über Klezmer vermitteln will, fängt der Text mit dem ersten Kapitel „Jiddische Kultur im Stalinismus“ mitten drinnen an.

Das ist symptomatisch. Das Kapitel ist etwas chaotisch aufgebaut, Ort und Zeit wechseln gelegentlich und ein roter Faden wird nicht angesponnen. Der Leser wird vielmehr auf den übrigen Text vorbereitet: Auf eine vorwiegend anstrengende Lektüre. Warum dieses Kapitel zu Anfang, warum immer wieder kleine verwobene Sticheleien?

Das zweite Kapitel holt aus und das nach, was das Erste versäumt hat: Einen Überblick über historischen Klezmer. Ich habe das sehr schöne Kapitel als objektiv schildernd und interessant in Erinnerung. Eine gute Einleitung.

Nicht so das darauf folgende Kapitel „Klezmer-Musik in Osteuropa“. Obwohl, oder gerade weil es das umfangreichste und zentrale Kapitel des Buches zu sein scheint, wirken die Schilderungen oft sehr trocken und wissenschaftlich historisch (im negativen Sinn). Erfreulich ist der Abschnitt „der Chassidismus“. Hier wird ein wichtiger religiöser Background vermittelt. Ebenso haben mir die Beschreibungen des Lebens der Klezmorim gut gefallen und das Kapitel, in dem eine traditionelle osteuropäische Hochzeit beschrieben wurde. Lobenswerte Ausnahmen. Leider.

Die Autoren verlieren sich oft in vielen Namen und vielen (historischen) Details. Darunter leidet oft der Überblick / Zusammenhang.Zum Teil mögen die Einzelheiten nicht uninteressant sein, jedoch die Art und Weise der Darstellung läßt zu wünschen übrig. Zumeist ist derartiges nur für jemanden interessant, der sich schon lange mit dieser Musik beschäftigt. (Auch hier wieder: die Frage des Zielpublikums.)

Das Kapitel „Blütezeit im 19. Jahrhundert. Die großen Virtuosen“ in dem das Leben Gusikow’s, Pedotser’s und einiger Anderer beschrieben wird wirkt etwas blutleer. Ich habe schon fesselndere Texte zum Thema gelesen.

Persönlich hat mich das Kapitel „Klezmer-Musik in Amerika“ besonders interessiert. Ist es doch notwendig  um den heutigen (amerikanischen) Klezmer zu verstehen. Abgesehen von einer etwas chaotischen Gliederung des Textes konnte ich finden was ich suchte. Die triefenden Anektdoten aus dem Leben einzelner Musiker der Zeit (z.B.: Brandwein) lockern den Text auf und machen Spaß.

„Die Klezmer-Musik seit 1975“ ist nicht der Rede wert. Dieser Teil wurde nur der Vollständigkeit halber mit aufgenommen. Imponiert hat mir die kritische Auseinandersetzung in „Klezmer in Deutschland“, insbesondere was G. Feidman angeht. Einige interessante Gedanken werden an-, aber leider nicht weitergesponnen. Zu wenig, zu oberflächlich.

Das Glossar ist wertvoll und gut.
 

Fazit:
Das Buch „Klezmer-Musik“ des Autorenpaares Rita Ottens und Joel Rubin ist ein zutiefst zwiespältiges Werk.
Zum Teil sicher auch deswegen, weil es von 2 Autoren verfaßt wurde. Dies kommt immer wieder kommt in den abrupten Wechseln des Erzählstils zum Ausdruck. Mal eine trockene Aneinanderreihung von Zahlen und Fakten, mal eine lebendige Beschreibung anhand von kurzen Anekdoten.
Vor allem sind es viele Einzelheiten, die das Buch fragwürdig machen. Einige Beispiele:
Die Gruppe Kapelye wird einige Male angesprochen aber der Name der Gruppe wird nicht erwähnt. Warum?
In „ausgewählten Musikbeispielen“ finden sich auffallend viele Werke, in denen J. Rubin mitgewirkt hat. Die meisten bedeutenden Werke fehlen. Das Buch kreist zentralistisch um den Dunstkreis Ottens/Rubin und ist damit einseitig.
Öfter vorkommende unterschwellige Sticheleien gegenüber diversen Klezmer-Gruppen (Bsp.: S 10, Zeile 6: Kroke; S 301, letzter Absatz: Kapelye) und verhaltene unausgesprochene Kritik in polemisierender Form. Das muß nicht sein!
Rubin/Ottens treten des öfteren in selbst aufgestellte Fallen.
Nicht zuletzt ist die Qualität des Textes zwiespältig (s.o.)

Fazit des Fazits:
Ich kann keine eindeutige Wertung oder Empfehlung für oder gegen dieses Werk abgeben.
Sicher ist, daß es für einen Einstieg in das Thema “Klezmer” weniger gut geeignet ist. Eher für fortgeschrittene Leser, denen Fakten wichtiger sind als Lesevergnügen.

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