Virtual Klezmer

Rubin & Horowitz
Bessarabian Symphony

(Besprechung: Andreas)

Rubin & Horowitz – Bessarabian Symphony
Early Jewish Instrumental Music ( 1994 )

Bessarabien, ein Gebiet zwischen Prut, Dnjester und dem Schwarzen Meer, war eine Schatzkammer jiddischer Folklore und Musik im Bereich des jüdischen Ansiedlungsgebietes Osteuropas – und die Heimat vieler Stücke dieses Albums. Von 1941 bis 1944 wurde die jüdische Bevölkerung Bessarabiens von deutschen Truppen und ihren rumänischen Verbündeten ausgerottet. Die Bessarabian Symphony war eine New Yorker Klezmer Band in den zwanziger Jahren, geleitet von dem Trompeter Arele Greenspan und dem Schlagzeuger Harry Truntz.

Die Klezmerspielweise um die Jahrhundertwende unterschied sich von der heutigen Aufführungspraxis in vielerlei Hinsichten. Mehr ausdrucksvolles Spiels als technische Vollkommenheit betonend, war sie gekennzeichnet durch den ausgedehnten Gebrauch von Trillern und Schleifern. Unregelmäßige Phrasierungen, nach der alten Ästhetik bevorzugt, gaben der Melodie Energie und Spannung. Die Tempi waren nicht exakt und regelmäßig, sondern unterlagen ständiger Veränderung. Historische Aufnahmen lassen besonders gut die reichhaltigen Variationen erkennen, die subtil bis in die kleinsten Nuancen ausgeführt wurden.  

Die Begleitung erschöpfte sich nicht in ständiger Wiederholung feststehender rhythmischer Formeln, sondern folgte dem rhythmischen und tonalen Verlauf der Melodie. Die gebräuchlichen shteyger ( Jidd. Modi) der Klezmermusik weisen Ähnlichkeit  mit denen der östlichen aschkenasischen Khazones auf. Über die Bedeutung der westlichen Tonleiter hinausgehend, bestimmt der Modus auch die Art und Weise des Gebrauchs des einzelnen Tones. Die Modi der vorliegenden Aufnahme sind typisch für das Klezmer Repertoire insgesamt.

Die Besetzung:

Joshua Horowitz studierte Komposition bei Hugo Norden sowie Filmkomposition am Berklee College of Music in Boston, besuchte das San Francisco Conservatory of Music und war Meisterschüler bei dem Baulanger- und Lipatti-Protege Alain Naude. Er erhielt ein Diplom in Komposition und erwar einen M.A.-Grand in Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Graz. Joshua Horowitz ist Lehrbeauftragter an der Grazer Musikhochschule und leitet dort das Klezmer Musik Forschungsprojekt. Er gilt als Meister des jüdischen Akkordeons und ist einer der wenigen zeitgenössischen Künstler, welche die Feinheiten jüdischer Musik auf dem selten gespielten Tsimbl beherrschen. Horowitz erhielt zahlreiche Stipendien für seine Feldforschung über jüdische Musik. Mit dem türkisch sefardischen Sänger Aron Saltiel publizierte er das Judeo-Spanish Songbook, Ergebnis ihrer Feldarbeit in Griechenland und in der Türkei. Seine Veröffentlichungen  über den Bach´schen Kontrapunkt erregten internationale Aufmerksamkeit. Kompositionen von Joshua Horowitz, u.a. von der American Society of Composers, Authors and Publishers ausgezeichnet und von der Mäzenin der San Francisco Symphony, Louise M. Davies gefördert, wurde den in den USA, Israel und Europa aufgeführt. Zu seinen Werken gehören Tenebrae für Mezzo-Sopran und 122 Instrumentalisten nach einem Gedicht von Paul Celan, und die Kinderoper „Der Wilde Mann“ ein Auftragswerk des österreichischen Kulturministeriums. Joshua Horowitz unterrichtete zusammen mit dem Saxophonisten Stan Getz an der Stanford University, trat als Dirigent von Kammerorchestern hervor und war Musikdirektor von Theatertruppen in den USA und Europa.

Joel Rubin ist als Meister des Klezmer Genres und künstlerischer Nachfolger der legendären Klarinettisten der Vergangenheit von Größen wie Dave Tarras und Max Epstein und führenden chassidischen Klezmorim in Israel anerkannt. Er studierte klassische Klarinette bei Kalmen Opperman und Richard Stoltzman, besuchte das California Institute of the Arts und erhielt ein B.F.A. von der State University von New York in Purchase. Neben Konzerten und Feldforschung mit traditionellen Musikern wie Musa Berlin und den Epstein Brothers trat er als Gründer und Klarinettist von Brave Old World hervor. Mit BOW und der Joel Rubin Klezmer Band sowie mit den Epstein Brothers und dem Jass Musiker Branford Marsalis spielte er Alben ein. Rubin ging auf Tournee mit der Klezmer Conservatory Band und den Klezmatics und begleitete Seymour Rexsite und Miriam Kressyn, Stars des jiddischen Theaters. Von 1985 bis 1991 unterrichtete er alljährlich beim Yiddish Fok Arts Program (KlezKamp) des YIVO Institutes. Rubin produzierte, zusammen mit Rita Ottens, die preisgekrönte historische Klezmer Anthologie Yikhes. Beide organisierten 1992 die Veranstaltungsreihe traditioneller und populärer jüdischer Musik für die Ausstellung Jüdische Lebenswelten in Berlin und gaben eine Doppel-CD mit den Höhepunkten der Konzerte heraus. Joel Rubin leitet mit Rita Ottens das Forschungs- und Dokumentationsprojekt Klezmer Musik – Mikrosmos Jiddischer Kultur e.V. in Berlin. Er war musikalischer Leiter des 3. Jüdischen Kulturfestivals 1992 in Krakau und Mitarbeiter vieler Film, Fernseh und Radioprogramme über Klezmer und jüdische Musik. Seine Aufsätze und Analysen über Aspekte jüdischer Musik und Kultur erschienen in Europa und in den USA.

 

Lieder:

1 – 2  Dobriden ( 6:22 )
3 – 4  Dem zeydns tants ( 4:01 )
5 – 8  Doina Medley ( 10:44 )
9 – 10 Shulem ( 5:15 )
11. Shabes Nign ( 4:01 )
12 – 13 Az du furst avek ( 6:48 )
14. Belf´s khusidl
15 – 16 Mazltov ( 4 :11 )
17 – 19 Karliner ( 7:29 )
20 – 22 Bessarabian Symphony ( 12:24 )
23 – 26 A gute nakht ( 8:30 )

 

Kommentar zu einzelnen Stücken:

1. Barkagon´s dobriden / 2. Kolomeyke
Das dobriden (Slaw. Guten Tag) war ein Begrüßungsstück bei Hochzeiten im jüdischen Ansiedlungsrayon. Die Melodie stammt aus der Sammlung des sowjetisch-jüdischen Musiktheologen Moshe Beregovski. Er transkribierte es 1936 von G. Barkagon, einem Klarinettisten und Leiter einer Klezmer Band in der Kolonie Kalinindorf in der Provinz Kherson/Ukraine. Die Musiker pflegten an das Dobriden eine schnelle Tanzweise anzuschließen. Die Kolomeyke, ein nichtjüdischer Tanz aus dem Karphatengebirge, der sich unter den Juden großer Beliebtheit erfreute.

3. Dem zeydn tants / 4 Fun tashlik
Dem zeydns tants in eine „khusidl-Melodie“ aus dem Repertoire von Dave Tarras. Die Melodie könnte dem Hof des chassidischen Rebn von Trisk zuzuordnen sein. Khusidl bezieht sich entweder auf einen Anhänger eines bestimmten chassidischen Rebn oder auf die Musik selbst. Der zweite Teil dieses Medleys entstammt dem Repertoire von Naftule Brandwein. Tashlik, das Hashanah, bei dem sich die Männer an einem fließendem Wasser versammlen und ihre Taschen darüber ausleeren. Ob Brandweins Melodie etwas mit tashlikh zu tun hat, ist nicht geklärt.

4.  yidishe doina / 6. Gershfeld´s gasn nign / 7. Mitsve tants / 8. Rabinovitsh´s freylekhs
Joel Rubin komponierte “A yidishe doina” nach traditionellen Motiven. Die Doina kommt aus Rumänien und war ursprünglich ein frei improvisierter getragener Gesang von Hirten. Der „Gasn nign“ stammt aus dem Repertoire des Geigers G. Gershfeld aus Tirapsol und wurde 1937 von Beregovski transkribiert. Mitsve Tants ist eine bekannte Melodie, deren Ursprünge in der Bukowina vermutet werden. Der Mitsve Tants mit der Braut beruht auf einem religiosen Gebot und war ein traditioneller Bestandteil jeder osteuropäischen-jüdischen Hochzeit. Er findet spät am Abend nach dem Festmahl im Beisein der verbliebenen Gäste statt. Rabinovitsh freylekhs ist eine Tanzmelodie, die in den ersten Jahren unseres Jahrhunderts populär war. Die Melodie wurde nach dem Geiger M.I. Rabinovitsh, der das Staatliche Jüdische Instrumental Ensemble in Kiew in den dreißiger Jahren leitete, benannt.

9. Shulem / 10. Shloimke´s Skotshne
Shulem ist eine auf einem traditionellen Thema basierende Akkordeonimprovisation von Joshua Horowitz. Die Melodie ist Shloimke Beckerman gewidmet, der möglicherweise der Komponist des Stückes war.

 11. Shabes Nign
Diese Shabat Melodie wird noch heute von den Anhängern des Rabbi Nachman von Bratslav gesungen.

12. Az du furst avek / 13. Buhusher khusid
Ist ein beliebtes jüdischen Liebeslied aus revolutionären Zeiten. Es handelt von einem Mädchen, dessen Verlobter zum Militärdienst in die Zaren-Armee eingezogen wurde. Max Epstein lernte diese Melodie Ende der zwanziger Jahre in der Lower East Side in New York. Der zweite Teil des Meldeys basiert auf Khusidl-Melodien des Tsimbalisten Joseph Moskowitz. Er nannte das Stück nach der Stadt Buhusi in Modlawien.

14. Belf´s Khusidl
Dieses alte Khusidl stammt vom Belf´s Rumänischen Orchesters, das um 1910 in Bukarest Platten einspielte.

15. Mazltov / 16. Crimean Melodiy
Mazltov ist eine Improvisation über ein traditionelles Shema, das einmal ein Volkslied oder ein „Tish Nign“ gewesen war. Crimean Melody gehört zu der Kategorie Exotika oder Orientalismen, die ihren Eingang in das Klezmer Repertoire gefunden haben. Das Stück findet sich noch heute in der persischen und zentralasiatischen Musik.

17. Karliner Nign / 18. Chabadsker Nign / 19. Epstein´s Sirba
Das Karliner Nign ist eine alte chassidische Melodie aus Osteuropa, die bis heut von chassidischen Musikern in Israel als Tanzstück gespielt wird. Die zweite Meldie ist ein Shabat Nign, gesungen und gespielt von den Anhängern des Lubavitscher Rebben. Die rumänische Sirba stammt von Max Epstein, der sie bei Hochzeiten in New York spielte.

20. Improvizatsye / 21. Dorbriden / 22. Sadagurer Khusid
Die Improvizatsye von Joshua Horowitz geht in ei dobriden über, das ebenfalls von G. Barkagan aus Kalinindorf stammt. Sadagurer Khusid enstammt dem Repertoire von Joseph Moskowitz. Sadagura bei Czernowitz wurde zum bedeutensten chassidischem Zentrum Galiziens, als sich der Rizhiner Yisrael Friedman nach seiner Entlassung aus der russichen Gefangenschaft dort niederließ.

23. A gute nakht / 24. Gurevitsh dobriden / 25. Hasidic Waltz / 26. A yidishe honga
A gute nakht stammt von dem Geiger Gershfeld. Stücke wie dieses wurden gelgentlich zum Ausklang des Hochzeitsfestes und zum Verabschieden der Gäste gespielt. Beregovski zeichnete ds dobriden 1930 in Odessa von dem Sänger Gurevitsh auf.

 

Fazit:
Eine sehr interessante CD mit vielen Informationen im Inlay. Besonders hervorzuheben ist die Melodie „Fun Tashlik „ und die „Kolomeyke“. Die „Rabinovitsh´s Freylechs“ habe mich ebenfalls fasziniert. Eine Platte, die von Anfang bis Ende einfach perfekt gespielt ist. Wer Joshua Horowitz einmal Live am Tsimbl gesehen hat, kann meine Begeisterung über die CD sicherlich leichter nachvollziehen. Eine gelungenes „Werk“ in der die frühe Klezmermusik bestens wiedergespiegelt wird. Absolut minimalistische Musik mit viel Freude gespielt. Die Platte sollte in keiner Klezmer-Sammlung fehlen, leider nur schwer zu finden. Würde es für die Aufmachung der Platte eine Skala mit 10 Punkten geben, hätte sie dies sicherlich auch erreicht.

Bewertung:
 
Interpretation
 Virtuosität
 Spielfreude
 Aufmachung

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