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Ein Klezmer-Revival in den USA

   

Ein Klezmer-Revival in den USA

New York zu meinem Forschungszentrumzu machen erwies sich schnell als sinnvoll. Das Zentrum jüdischer Kultur war in Amerika von Anfang an New York, denn vor mehr als hundert Jahren befand sich hier die erste Anlegestelle der einwandernden Juden aus Osteuropa. Viele ließen sich in der “Lower East Side” von Manhattan nieder. Bis heute leben im Staat New York 30% der gesamten jüdischen Bevölkerung der USA. Hier fanden die wichtigsten kulturellen Entwicklungen statt, angefangen bei der Anpassung an die amerikanische Kultur bis hin zur Rückbesinnung auf die Mutterkultur. Hier war und ist der zentrale Dreh- und Angelpunkt des sogenannten “Klezmer-Revivals”. Hier konnte ich viele junge und alte Klezmer-Musiker treffen, Konzerte besuchen und die wichtigsten Archive zu jiddischer Kultur durchforsten.

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Das erste Klezmer-Konzert, das ich in New York besuchte, stellte meine unbewußten Erwartungen sofort auf den Kopf. Es war ein kleines Festival jiddischer Musik mit mehreren Gruppen, darunter zwei Klezmer-Bands, das in einem etablierten Konzertsaal mit klingendem Namen stattfand. “Symphony Space” liegt inmitten einer der traditionellen jüdischen Wohnviertel Manhattans, der “Upper West Side”, und faßt an die 800 Zuschauer. Zu meinem großen Erstaunen fand sich an jenem Sonntagabend ein Publikum ein, das zum größten Teil aus Siebzigjährigen und Älteren bestand. Die verschiedenen Gruppen und Sänger wurden mit großem Enthusiasmus begrüßt und voller Begeisterung klatschte und sang das agile Publikum mit, in dem sich ein paar Familien mit Kindern fast verloren vorkommen mußten. Aus Berlin kannte ich eine bunte Mischung mit vielen kunstbewußten und musikbegeisterten Konzertbesuchern jeden Alters, aber mit einer Überzahl an Jungen. Hier in New York wurde offensichtlich ein ganz anderes Publikum von der Musik angezogen.

Aus Gründen der Einfachheit, wie ich dachte, begann ich mit der Suche nach einer Definition von Klezmer-Musik. Dummerweise bekam ich ebenso viele unterschiedliche Antworten, wie ich Fragen stellte und so wurde selbst das Bild der Musik an sich immer verworrener. Häufig mischten sich in meine Gespräche mit Musikern Fragen über jüdische Identität mit Diskussionen über melodische Verzierungstechniken. Verwirrend und interessant waren schon die Antworten auf die Frage, was der Begriff “Klezmer-Musik” bedeute. Für den Einen ist es ein fest umrissenes Repertoire, für den Nächsten einfach nur Tanzmusik, für den Dritten eine “Art und Weise” wie eine Melodie gespielt wird, sozusagen eine “Gefühlssache”. Henry Sapoznik, einer der Wegbereiter des “Klezmer-Revivals”, geht sogar soweit zu sagen: “I think klezmer is the most relevant thing that Yiddish culture has to the outside world right now.” Aber nicht alle Aschkenasim in den USA scheinen Klezmer-Musik so enthusiastisch gegenüber zu stehen. Eine Jiddisch Lehrerin des reformistisch-jüdischen “Workman’s Circle” in New York setzt entgegen: “Klezmer-music is like pickled herring and sauerkraut.” Sie empfindet die Musik als ein profanes, billiges, ein zum vereinfachten Symbol einer komplexen Kultur reduziertes Nostalgieobjekt. Schon anhand dieser beiden gegensätzlichen, aber gleichermaßen emotionalen Ansichten wird klar, daß Klezmer-Musik mehr ist als nur eine bestimmte Form der Aneinanderreihung von Tönen.

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Ich suchte nach “neutraleren” Informationsquellen und durchforstete die Bibliotheken von New York. Nach längerem Suchen fanden sich einige Zeitungsausschnitte und einige kürzere Artikel zur Geschichte der Musik. Doch trotz der regen zwanzigjährigen Aktivität, konnte ich keinen substantiellen Text finden, der sich näher mit dem Phänomen “Klezmer-Revival” auseinandersetzte. Bis heute ist keine ausführliche Abhandlung veröffentlicht worden, die sich neben der Geschichte auch mit der Gegenwart von Klezmer-Musik beschäftigen würde.

Mark Slobin, der einige interessante, meist kürzere Texte zu jüdischer und auch Klezmer-Musik herausgebracht hat, kündigte vor kurzem an, ein Buch zu schreiben. Doch die Probleme, die mit dieser Musiktradition verbunden sind, haben ihn bisher davon abgehalten:

    “(...) the problems of how to study a reasonably rootless but deeply rooted music that has no geographic center, no living community it’s attached to by continuous practice, a capricious and shifting audience, and no fixed body of music that defines its contours.” (Slobin 1998:5)

Auch mir wurde während meiner Forschung immer klarer, daß es eine chronologisch eindeutige Geschichte nicht gibt. Vielmehr überlagern sich mehrere Ebenen der Wahrnehmung, Prozesse der Veränderung lassen vieles verschmelzen, mit heftiger Diskussion verbundene Aspekte wiederholen sich. Weshalb man schon auf die einfach anmutende Frage: “Was ist Klezmer-Musik?” so unterschiedliche Antworten bekommt. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, daß Klezmer-Musik immer schon eine Musik war, die - je nach Zeit und Umgebung - eine sowohl kulturelle wie soziale Rolle einnahm. Die Musik und ihre Funktion sind geprägt von zahlreichen Faktoren, die sich miteinander verwoben und ständig neue Entwicklungen durchlaufen haben. Ohne ein Verständnis der soziologischen, kulturellen, geschichtlichen und persönlichen Umgebung ist es unmöglich, ein so komplexes Phänomen wie das “Klezmer-Revival” in den Griff zu bekommen.

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Wie soll man jedoch all diese Komplexität in einen verstehbaren Rahmen zwingen? Die Menschen, die sich gegenwärtig mit der Musik auseinandersetzen, schienen für mich der naheliegende und zugänglichste Ansatzpunkt. Ich beschloß, das umfangreiche Material meiner Recherchen aus dem Blickwinkel derer heraus zu betrachten, die das “Klezmer-Revival” in den USA ausgelöst hatten. Aufhänger bildeten Fragen, die immer wiederkehrten:

Wieso gab es ein Klezmer-Revival? Was wurde wiederbelebt?
Was waren die Beweggründe der Revivalisten?
Wie entdeckten sie Klezmer-Musik?
Wie hatte sich die Musik bis zu ihrer Wiederentdeckung entwickelt?

Und schließlich:
was bedeutet Klezmer-Musik heute in den USA?

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