Typische Tonskalen
Die verschiedenen aschkenasischen
Musiktraditionen, von denen Klezmer-Musik
ein eher kleiner Bereich ist, haben ein
musikalisches Element gemeinsam. Allen
dienen bestimmte Tonskalen als Grundlage.
Wegen des weiten Einzugsgebietes der Aschkenasim
kann man viele der üblichen westeuropäischen
Dur- und Moll-Tonleiter finden. Besonders
hervorstechend sind aber die regional
übergreifend nur der aschkenasischen Musik
eigenen Tonleiter.
Ursprünglich stammen die typischen jüdischen
Skalen aus der synagogalen Musik, in der
man sie allgemein als Nusah, im
Jiddischen auch als Steiger bezeichnet,
und dienen bis heute als Grundlage
der Gebetsrezitation. Ein wichtiger
Aspekt in der syngogalen Musik ist, daß
Musik und Text bei der Gebetsrezitation
eng miteinander verbunden sind, wobei
die Musik immer dem Text unterzuordnen
ist. Die einzelnen Skalen werden daher
im religiösen Gesang nicht nur über ihre
Töne definiert, sondern auch durch die
Texte, die mit ihnen in Verbindung
gebracht werden.
Besonders betont werden muß, daß die
aschkenasischen Tonskalen ein weit
offeneres System darstellen und der
Umgang mit diesen Tongerüsten anders ist,
als man es aus der westlichen Musik gewohnt
ist. Jede Skala wird nicht nur durch eine
grobe Tonleiter definiert, sondern gleichzeitig
mit einer Gefühlsstimmung assoziiert.
Die Zuordnung zu diesem Gefühl findet
ihren Ausdruck vor allem in der Modulation,
ein noch wenig erforschter und komplizierter
Aspekt im Gebrauch der Skalen. Mit ihr
meint man grob gesagt die Rolle einzelner
Töne im übergeordneten Tongerüst und
die Art und Weise, wie vorgegebene Melodien
oder melodische Motive mit Hilfe dieses
tonalen Rahmen variierbar sind. Dabei
dienen einzelne Töne quasi als Zentrum,
um das die Melodie dem besonderen Charakter
der jeweiligen Tonskala entsprechend umspielt
werden kann. Die Modulation trägt einen
großen Teil zur Eigenheit des Klangs aschkenasischer
Musik bei.
Die drei häufigsten typischen Skalen
in der Klezmer-Musik sind: Ahava Rabbah
(A `Great Love´), Mi Sheberach
(`He Who Blesses´) und die sogenannte
jüdische Moll-Tonleiter. Die Titel
stammen von den Eröffnungsworten derjenigen
liturgischen Passage, die der jeweiligen
Skala innerhalb der Sabbatliturgie zugeordnet
wird.
Die wohl am stärksten mit aschkenasischer
Musik identifizierte Skala ist Ahavah
Rabbah , unter Klezmorim bekannter
unter dem Namen Freigisch. Sie
zeichnet sich vor allem durch einen übermäßigen
Sekundenschritt zwischen 2ter und 3ter
Tonstufe aus. In manchen Fällen gibt es
zusätzlich einen Halbtonschritt zwischen
1ster und 2ter Tonstufe. Es kann auch
die 7te Tonstufe erhöht werden, was je
nach Melodie eine stärkere “Orientalisierung”
bewirken soll. In der westlichen Musik
findet sich kein Äquivalent zu Ahavah
Rabbah, was sie für die jüdische Musik
einzigartig macht und weswegen sie gerne
zur Charakterisierung oder als musikalisches
Zitat für aschkenasische Musik herangezogen
wird. Der Name bedeutet “Erhabene Liebe”
und bezieht sich auf den Ausdruck des
erhabenen Gefühls zu Gott durch einen
einzigartigen musikalischen Klang.
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