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Klezmer Musik und die Klezmorim in Osteuropa

   

Klezmer-Musik und Klezmorim in Osteuropa

Traditionelle Hochzeiten waren in der “Alten Welt” eine sieben und mehr Tage andauernde, die ganze Familie und Gemeinde einbeziehende Festlichkeit mit vielen Abschnitten. An den Abenden vor der Hochzeit fanden in den Häusern von Verwandten und Freunden des Brautpaares jeweils besondere Feiern statt und bei keiner durften die Klezmorim fehlen. Am großen Tag führten sie dann die verschiedenen Prozessionen zu und von der Khupe an, ein im Freien aufgestellter, an den Seiten offener Baldachin unter dem die eigentliche Trauung stattfand. Der Badchn, ein professioneller Akrobat, Spaßmacher und Wortkünstler, der mit seinen Kommentaren Brautpaar und Gäste zum Weinen oder Lachen bringen mußte, war dabei ein besonders wichtiger Bestandteil. Mit nachdenklichen oder aufgeweckten Melodien wurde er von den Musikern durch die verschiedenen Abschnitte der Hochzeitszeremonie begleitet. Nach der Trauung fand schließlich ein großes Mahl und ein langer ausgelassener Festabend statt, bei dem die Klezmorim mit allen gewünschten und bekannten Stücken zum Tanz aufspielten.

    “Gewöhnlich mußte der Kapellmeister irgendein Pfand, das meistens in einem goldenen Fingerring oder in einer anderen Kostbarkeit bestand, zur Sicherung der stattgehabten Übereinkunft geben, denn besonders ehrenhaft waren die Klesmorim nicht und es kam vor, daß sie einen im Stich ließen, weil ein anderer mehr bot. Viel Geld schlug gewöhnlich die Bande aus dem tief eingewurzelten Brauche, nach dem jeder Gast das Recht hatte Tänze zu kaufen. Dieser Brauch, der besonders dem vermögenden Hauswirte schon an und für sich unangenehm war, um so mehr, als es nicht selten zu unliebsamen Auseinandersetzungen und Streitigkeiten zwischen den Gästen und den Klesmorim wegen Unnachgiebigkeit und Mehrforderungen der letzteren kam, war aber unausrottbar, da die Musikanten einerseits in ihm die Hauptquelle ihrer Einkünfte sahen, andererseits aber die Gäste es als eine Ehrensache betrachteten, ihre eigenen Einfälle aus eigener Tasche bestreiten zu dürfen; auch wollten sie auf ihr Recht, jemand mit einem Tanze zu beehren, nicht leicht verzichten.” (Weissenberg 1913:128)

Für die wechselnden Anforderungen mußten die Musiker ein breites Repertoire an ritueller und säkularer, an jüdischer und nichtjüdischer Musik bereithalten. Nicht nur Können und Virtuosität, sondern auch die Kenntnis von vielen Musikstücken brachten einem Instrumentalisten einen guten Ruf und ausreichend Arbeit ein. Da sie bei Hochzeiten als Dienstleister angefragt waren, mußten sie sich aber entweder an die musikalischen Notwendigkeiten der Zeremonien halten oder den Wünschen der jeweiligen Geldgeber unterordnen. Angepaßt an den Geschmack der Zeit oder je nach Einfallsreichtum des Klezmer wurden jedoch immer wieder neue Stücke eingebracht oder alte verändert. Besonders während der Mahlzeiten konnten die Musiker ihre Virtuosität zum Besten geben und ihrer Phantasie freien Lauf lassen.

    “There was traditional innovation (...) You could look at it as experimentation, but it didn’t have this modern consciousness of experimentation. There is constantly a great deal of variation and development going on within a style even if we say that’s a traditional style and everybody is supposedly playing all these old tunes, of course everybody is making up new tunes and changing things and varying things. And especially within klezmer music and the old-time professional tradition. There was a lot of this composition.” (Interview Alpert)

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Einzelne hochbegabte Klezmer-Solisten brachten es zu besonderem Ruhm und gingen regelrecht auf Konzerttournee weit über ihre Heimatregion hinaus. Das berühmteste heute noch bekannte Beispiel war zu Beginn des letzten Jahrhunderts Mikhoel-Yosef Guzikov. Er spielte auf einem einfachen, selbstgebauten Zimbl, das aus Holzstäben bestand, die auf einem Strohbett ruhten (“Strohfidl”) . Er beherrschte das einfache Instrument so virtuos, daß er schließlich in ganz Europa Solokonzerte gab. Felix Mendelssohn-Bartholdy schrieb in einem Brief an seine Mutter nachdem er ein Konzert von Guzikov gesehen hatte:


    “He is a true phenomenon, a wonder, who takes second place to no virtuoso of the world in performance and preparation and who therefore gave me more enjoyment on his wood and straw instrument than many do on their pianos.” (Wie zitiert in: Beregovski 1937:537)

Andere Klezmorim fanden Schirmherren und Patronen unter den vielen osteuropäischen Kleinadeligen. Manche wurden in den kleinen Hofstaat aufgenommen und dienten als private Hausmusiker ihrem Gönner. Solche Glückstreffer waren jedoch die Ausnahme und um ausreichend Arbeitsgelegenheiten zu bekommen, mußten viele Musiker nicht selten über beträchtliche Strecken reisen. Diese mindestens zwei bis meist nicht mehr als fünf Musiker zählenden Ensembles setzten sich häufig aus Mitgliedern einer Familie zusammen. Klezmer war in Osteuropa ein Berufsstand, der von Generation zu Generation innerhalb einer Familie weitergegeben wurde. Erst im neunzehnten Jahrhundert mit Öffnung der Konservatorien für Juden in Rußland und der verstärkten Aufnahme in Militärkapellen erhielten Klezmorim überhaupt die Möglichkeit vom relativ festgelegten Klezmer-Beruf zu einem vielseitigeren Musikberuf überzugehen.

    “While reports date the earliest presence of Polish Jewish musicians in German armies of the 1600s, it was in the Russian army of the 1830s that Jews first entered in large numbers. Klezmorim naturally found themselves in military bands, where they learned much in the way of musical reading skills and instrumentation.” (Loeffler 1997:13)

Die Musiker spielten nicht nur für den einen oder anderen Landadeligen, wegen ihres Berufs und ihres zeitweisen Wanderlebens kamen sie mit vielen Nichtjuden in Kontakt. Wie die Volkssängerin Mariam Nirenberg erzählte, war es in Osteuropa außerdem selbstverständlich, daß Nichtjuden zu jüdischen Hochzeitsfesten eingeladen wurden und mitfeierten. Umgekehrt waren Klezmorim auf Märkten, auf nichtjüdischen Festen und in Gasthäusern kein ungewöhnliches Bild. Für diese Gelegenheiten mußte ein anderes Repertoire bereitgehalten werden und so ergab es sich, daß die Klezmorim immer wieder zeitgenössischen Musikgeschmack in ihre jüdische Umgebung mit zurückbrachten. Berichten zufolge soll es vor allem in ländlicheren Gebieten eine Reihe von gemischten Musikgruppen mit sowohl christlichen, wie jüdischen Musikern gegeben haben. Ein deutliches Zeichen für den regen Austausch untereinander sind zahlreiche Verbote von Königen und Bischöfen,

    “(...) die den Christen aufs strengste untersagten, mit den Juden den Sabbat gemeinsam zu feiern und mit ihnen ihre Lieder zu singen (...) Gleichzeitig aber verboten auch die Rabbanim den Juden, christliche Gesänge zu singen oder gar zu übernehmen. All diese Verbote belegen auch hier wieder, wie populär die Praxis gegenseitiger Beeinflussung und sogar Übernahmen gewesen sein muß.” (Gradenwitz 1991:197)

Das Leben der Aschkenasim war in Osteuropa durch viele Gesetze reglementiert. Z.B. durften sie sich in manchen Städten ohne Sondererlaubnis gar nicht aufhalten und generell kein eigenes Geschäft besitzen. Das ging soweit, das es mancherorts gesetzliche Regelungen gab, die die Größe einer jüdischen Musikgruppe generell festlegten. In vielen deutschen Städten durften zeitweise nicht mehr als drei Klezmorim bei einer beliebigen Veranstaltung arbeiten. Aber nicht nur die christlichen Regulationen machten den Klezmorim das Leben schwer. Als Ausdruck der Abneigung gegenüber der instrumentalen Musik erließen auch die Oberhäupter der jüdischen Gemeinden, die Rabbiner, hin und wieder Verdikte gegen das Spielen von Musik. Es gab Fälle, nach denen sie auf Grund einer Tragödie in der Gemeinde ein ganzes Jahr lang Freundenfeste untersagten. Abgesehen von solchen Ausnahmesituationen, enthält der jüdische Kalender an sich schon viele Feiertage, an denen nicht nur wie an den Sabbattagen instrumentale Musik verboten war, sondern Juden überhaupt das Feiern untersagt wurde.

    “It was actually the rigid, centuries old Jewish calendar which put the Jewish musicians at the greatest disadvantage. This was, because large portions of the Jewish calendar were periods where private and public celebrations including weddings were forbidden. Such was the saying, When they count the sfire (...) the klezmer can drop dead.” (Loeffler 1997:5)

In den Gebieten von Bessarabien, Rumänien und der Ukraine gab es nicht nur mit Christen viele musikalische Kontakte, hier herrschte ein besonders reger Austausch mit den Roma der Umgebung. Wieder wird berichtet, daß Roma und Juden zusammen in Ensembles spielten, Roma sollen jüdische Gruppen sogar geleitet haben.

    “Not only did Ashkenazic klezmorim move south, attaining prominence in eighteenth and early nineteenth-century Ottoman Moldavia and Bessarabia, a new professional music emerged, played by mixed bands of Jews and Gypsies which absorbed many structural features from Gypsy professional (lautar) music.” (Feldman 1997a:8/9)

Klezmorim waren schon auf Grund ihrer Beschäftigung eine Sondergruppe in der jüdischen Gesellschaft . Hinzu kamen ihre Reisen und die vielen Kontakte zur nichtjüdischen Welt. Alles das trug dazu bei, daß sich das schon erwähnte Image eines unorthodoxen, fast furchteinflösenden und zugleich faszinierenden Klezmer etablierte. Noch zu Beginn unseres Jahrhunderts waren diese Vorurteile gegenüber den Klezmorim in Osteuropa wie in deutschsprachigen Ländern verbreitet.

    “Wenn ich auch oben die Klesmer als nicht besonders ehrenhaft bezeichnete, so muß ich ihnen doch Gerechtigkeit widerfahren lassen und hier feststellen, daß die Zunft der Klesmorim mit der der Gauner, was wenigstens Rußland anbelangt, nichts Gemeinsames hat, und wenn die Klesmer unter den Juden keine Hochachtung genießen, so teilen sie damit das Schicksal vieler anderer Handwerker, was seinen Grund eher in sozialen als in moralischen Ursachen hat.” (Weissenberg 1913:129)

Der größere Teil der Gesellschaft behandelte Klezmorim herablassend und sah in ihnen eher Nichtsnutze als Künstler. In dem Theaterstück “Dovid’s Fidele” von Joseph Lateiner, das 1897 Premiere hatte und auch in Amerika noch aufgeführt wurde, wird die Geschichte eines ungleichen Brüderpaares erzählt, von denen einer gegen den Willen der Familie der Berufung Klezmer-Geiger folgte. Die Beschreibung des Musikers aus der Sicht des Bruders macht die Einstellung vieler gegenüber dem Beruf eines Klezmer deutlich.

    “He was lazy as I was industrious. He had only one obsession, and it stuck with him his whole life: his fiddle. He did nothing day and night but scrape on that fiddle. As hard as our blessed father tried to dissuade him from becoming a fiddler, a gypsy, he stood fast and unrepentant. Well, he found some sort of poor girl to marry, and you can believe that none of us attended the wedding.” (Slobin 1982:88-90)

Diese abfällige Einstellung gegenüber Klezmorim hat sich in etwas gewandelter Form auch in Amerika noch erhalten. Sie ist vielleicht unter anderem eine Erklärung dafür, warum gerade über diese doch so alte und im gesellschaftlichen Leben wichtige Musiktradition fast keine grundlegenden Forschungen gemacht wurden, als die Musik noch in ihrer ursprünglichen Umgebung lebendig war.

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