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Plattenaufnahmen

   

Plattenaufnahmen

Ein Teil der frei arbeitenden Musiker machte sich in Studios einen Namen und konnte bei Platteneinspielungen schnelles Geld verdienen. Die früheste Aufnahme jüdischer Musik wurde 1895 von Emile Berliner veröffentlicht. Danach gab es einige Zeit in Osteuropa und verstärkt in Amerika hunderte von jüdischen Plattenproduktionen. Aber erst als die großen Firmen in das Geschäft einstiegen, begann die produktivste Phase.

Auf dem neuen Kontinent dominierten Victor Talking Machine Company, Columbia Phonograph Company und Edison den Markt. Alle drei Firmen waren weltweit aktiv. Unter Namen wie “Jewish”, “Hebrew-Jewish”oder “Hebrew-Yiddish” wurde vielfältige jüdische Musik veröffentlicht. Obwohl bis heute hunderte von Aufnahmen in Sammlungen vereint sind, stellte Klezmer-Musik immer die kleinste Einheit innerhalb der jüdischen Plattenindustrie dar.

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    “The popularity (...) emphases are: 1. Cantorial; 2. Yiddish Theater; 2.1. Songs; 2.2. Skits and Comedy; 3.Jewish Instrumental Music (...) Catalog entries and extant discs suggest that klezmer music was the least recorded genre of Jewish music.” (Sapoznik/Feldman/Statman 1980:3)

Im Verhältnis zu anderen Einwanderungsgruppen ähnlicher Größe gibt es von jüdischer Musik insgesamt vergleichsweise wenige Aufnahmen. Die meisten Platten entstanden in den Jahren 1913-1930. Erfolgreiche Orchester und Solisten wurden bald zu Zugpferden für die Plattenfirmen. Die einzelnen Ensembles identifizierte man mit dem Namen ihrer Leiter, denn bis auf einen harten Kern änderte sich die Zusammensetzung der Musiker von Aufnahme zu Aufnahme.

    “The musicians were hired for the session only, though perhaps a core of them performed regular jobs with the band leader (...) There was no standing orchestra: a klezmer band was not like a symphony orchestra which has its members on a regular salary and rehearsal/performance schedule.” (Sapoznik/Feldman/Statman 1980:4)

Vieles in der Musik mußte sich an die Technik anpassen. Die Länge der Stücke war je nach Größe der damals gebräuchlichen Schellackplatten auf 2 1/2 bis 4 1/2 Minuten beschränkt, was eine ganz andere Herangehensweise an Klezmer-Musik zur Folge hatte. Bei den traditionellen Darbietungen mußte sich die Band nach dem Publikum richten. Im Studio wurde ein traditionell mehr als dreißigminütiger Tanz auf drei Minuten zurechtgestutzt, um auf die Platte zu passen. Auch die Instrumentierung wurde vom neuen Medium geprägt, denn besonders in größeren Ensembles konnte man leisere Instrumente wie die Geige nicht mehr heraushören. Ungewöhnlich große Gruppen, nach dem Vorbild der Bigbands konzipiert, erspielten sich mit Namen wie Joseph Cherniavsky’s Hasidic-American Jazz Band in den zwanziger Jahren Erfolge, indem sie die alten Melodien mit aufwendiger Instrumentierung und neuartigen Arrangements aufpeppten. Bei den Aufnahmen entstanden regelrechte “Kunstversionen” oder “concertised versions (...) like really orchestral, art versions of bulgars”, die in dieser Form und Besetzung live fast nie zu hören waren.

Trotzdem waren es vor allem die Plattenaufnahmen, die zum ersten Mal in der Geschichte der Klezmer-Musik genaue Vorlagen und Standardisierungen von Liedern produzierten. Das Publikum konnte von nun an Klezmer-Musik mit nach Hause nehmen und zu jeder beliebigen Zeit hören, die Musik existierte plötzlich auch außerhalb ihrer gesellschaftlichen Funktion.

    “At best, klezmer recordings represent only a rough idea of what klezmer sounded like. But the demands of the recording experience and commercialization meant that at worst the studio work represents an entirely different version of klezmer music and klezmer identity.” (Loeffler 1997:48)

Eine weitere Neuerung bestand darin, den Tanzmelodien eigene Namen zu geben. Die Musiker bezeichneten vorher die verschiedenen Lieder mit dem ihnen zugehörigen Tanz, ihrer Tonart oder mit dem Namen desjenigen, von dem sie das Lied gelernt hatten. Um aber einen Bulgar vom anderen zu unterscheiden und um als Künstler die Tantiemen für Kompositionen und Aufnahmen bekommen zu können, mußte man für alt bekannte Stücke, die nie eigene Namen hatten, plötzlich Namen aus dem Hut zaubern. Dave Tarras berichtete, daß er im Studio unter Druck gesetzt, die Stücke kurzerhand nach seinen Verwandten benannte:

    “When I went for a (recording) session they told me: We want bulgars, we want freylekhs. The only complication I had was the names (...) I had one Shifer tants Rukhele, my daughter’s name. Names - I gave relatives’ names.”(Dave Tarras wie zitiert in: Sapoznik/Feldman/Statman 1980:10)

Ein erster Einschnitt in die goldene Phase der Klezmer-Aufnahmen fand 1914 mit Beginn des Ersten Weltkriegs statt. In Europa produzierte Masters wurden nicht mehr lieferbar und es riß ein wichtiger direkter Draht zu den musikalischen Entwicklungen in der “Alten Welt” ab. Mit dem Aufkommen der Radiotechnik und dem Entstehen vieler jüdischer Radiosender reduzierte sich das Bedürfnis nach Plattenaufnahmen weiter.

Musik kostete nichts mehr und außerdem war die Klangqualität im Radio besser als bei Schellackplatten. Durch den Einwanderungsstop 1925 kamen vorerst keine Osteuropäer mehr über den Ozean und die neuen Generationen interessierten sich immer weniger für Klezmer-Musik. Die Wirtschaftskrise von 1929 hatte weiterhin zur Folge, daß die Plattenverkäufe stark zurückgingen. Die großen Plattenfirmen zogen sich weitgehend aus den ethnischen Bereichen zurück und überließen kleineren Firmen den abgeschwächten Markt. All diese Faktoren führten dazu, daß die Plattenproduktion von instrumentaler aschkenasischer Musik nach 1930 immer mehr zurückging.

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