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Naftule Brandwein

Naftule Brandwein

Aus der “goldenen Zeit” der Klezmer-Musik in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts sind zwei Klarinettisten zu besonders wichtigen Vorbildern für die gegenwärtige Klezmer-Generation geworden: Naftule Brandwein und Dave Tarras. Sie haben beide viel zu der Veränderung von Klezmer-Musik in Amerika beigetragen und mehrere Generationen von Klezmer-Klarinettisten mit ihrem persönlichen Stil geprägt. In ihren Biographien spiegelt sich die Arbeitssituation von Klezmorim von der Zeit der Einwanderung bis zum Verschwinden der Musik aus der Öffentlichkeit wider.

“If any one musician epitomizes the hurly burlyaspect of the arriving East-European Jewish musicians to the New World, then that is clarinetist Naftule Brandwein.” Das Leben von Naftule Brandwein ist mit vielen Geschichten umwoben, er ist die wohl ungewöhnlichste und schillerndste Figur unter den Klezmorim der Einwanderergeneration. Man erzählt sich in Klezmer-Kreisen viele wilde Geschichten über ihn, so z.B. daß er in einem “Uncle Sam” Anzug auf die Bühne kam, der ganz aus leuchtenden Glühbirnen bestand und mit dem zusammen er sich beinahe selbst eines Tages ausgelöscht hätte. Er soll auf Hochzeiten vor dem Publikum seine Hose runtergezogen oder auch mit dem Rücken zu ihm gespielt haben, damit keiner seine Griffe kopieren konnte. Er war als unzuverlässiger Alkoholiker verschrien und soll sogar für Gangsterbanden aufgetreten sein.

    “While the popular folklore acknowledges his predisposition as a roue and inebriate, he was forgiven everything when he replaced the bottle at his lips with a clarinet.” (Sapoznik 1997)

Die Geschichten um Brandwein begannen 1908, nachdem er im Alter von neunzehn Jahren von Polen nach Amerika gekommen war. Er stammte aus einer traditionellen Klezmer-Familie. Sein Vater war Geiger und Badchn, seine zwölf Geschwister und viele weitere Verwandte waren ebenfalls Musiker . Vor seiner Karriere in den USA sammelte er schon in Polen musikalische Erfahrungen nicht nur in der jüdischen Welt. Er spielte zusammen mit Roma und Polen auf Hochzeiten, in Weinkellern und zwischendurch sogar im Zirkus. In Amerika begann Brandwein in dem Orchester von Abe Schwartz für Plattenaufnahmen zu spielen. Bald wurde er aus den hinteren Reihen geholt und zum Solisten gemacht. Er wurde der erste Klezmer, der sowohl als Solist als auch später als Bandleiter Aufnahmen machte. Er bezeichnete sich selbst als “King of Klezmer-Music”, ein Titel der an ihm haften bleiben sollte, denn: “the professional Jewish music community of New York had never before seen the likes of him.”

Sein erstes Instrument war die Trompete und es ist nicht bekannt, wann er zur Klarinette, seinem wichtigsten Instrument, überwechselte. Bis heute hat seine unverkennbare Spielweise auf viele Klezmer-Klarinettisten einen großen Einfluß. Sein Ton war hart und direkt, seine Ornamentierungen und Variationen von Melodielinien wirkten stets unverbraucht und frisch. Einige Musiker erzählten, daß sein Spiel immer klang, als würde er das Stück zum ersten Mal spielen, egal wie einstudiert es wirklich war. Er wurde berühmt durch seine spielerische Brillanz und seine wirkungsvolle Emotionalität. In der Zeit von 1922 bis 1927 nahm Brandwein über zwanzig Platten auf, ein gutes Drittel davon unter seinem eigenen Namen.

Durch seine Alkoholsucht und unzuverlässige Persönlichkeit bekam er jedoch bald Probleme mit anderen Orchesterleitern. Dazu kam, daß er keine Noten lesen konnte und es nie schaffte, über Klezmer-Musik hinaus die immer häufiger gewünschten amerikanischen Tänze erfolgreich zu spielen. Das Theater, die Arbeit mit Sängern und in Orchestern vieler der erfolgreichsten Komponisten blieben ihm aus diesem Grund verschlossen. Seine Solorolle in dem Cherniavsky Orchester übernahm der inzwischen ebenfalls in den USA eingetroffene Dave Tarras.

    “By the early 1930s one of the only places one would see Naftule Brandwein was on a Naftule Brandwein bandstand. Few others would hire him (...) Despite this, the New York scene was rich with weddings, bar mitzvahs, landsmanshaft banquets, restaurants and cafes and radio shows. And in the summer there were always the numerous Jewish hotels in New York's Catskill region. Immigrant patrons sought out the music and culture of their community and here Brandwein could flourish. Yet even here opportunities were slowly disappearing.” (Sapoznik 1997)

Brandwein paßte sich den neuen Gegebenheiten insoweit an, als daß er wie inzwischen allgemein üblich, auch das Tenorsaxophon mehr schlecht als recht zu spielen lernte. Aber sowohl das Instrument selbst genauso wie der mit ihm verbundene jazzige Stil blieben ihm fremd. So kam es, daß er im Jahre 1927 seine vorerst letzte Schallplatte aufnahm. 1941 holten ihn die Victor Studios noch einmal zurück und brachten eine wenig überzeugende Platte mit ihm unter dem amerikanisierten Namen Nifty Brandwein heraus. Den Platz des Stars hatte längst der fast zehn Jahre jüngere Dave Tarras eingenommen. Die Bewunderung des geschichtenumwobenen musikalischen Talents von Brandwein hat sich jedoch bis heute ungebrochen erhalten. Viele der gegenwärtigen Klarinettisten identifizieren sich mit seiner Art zu Spielen und sind durch sie für ihre eigenen Interpretationen inspiriert worden.

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