Virtual Klezmer

Shtreiml
in Wien am 26. Juni 2003

Besprechung (Günther Schöller)

Shtreiml in Wien am 26. Juni 2003

Die Gruppe Shtreiml aus Montreal ist auf Tournee in Europa, und machte auch Halt in Wien.
"Shtreiml" ist jiddisch und die Bezeichnung für den Filzhut, den Juden in der Synagoge tragen.

Was bei Shtreiml sofort auffällt ist die Besetzung:
E-Bass, Schlagzeug und Akkordeon, das ist noch einigermaßen normal als Rhythmusgruppe und kennt man auch von David Krakauers Klezmer Madness!.
Aber wohl ziemlich einzigartig in der Klezmer-Szene ist die Mundharmonika als Soloinstrument statt Klarinette. Jason Rosenblatt, der Mann an der Mundharmonika, spielt eigentlich Blues und Jazz mit diesem Instrument. Daneben spielt er auch noch Klavier und als es bei einem Klezmerworkshop zuwenig Klaviere gab, nahm er sich seine Mundharmonika und begann darauf Klezmer zu spielen. Wie sich das anhört? Gut, sehr gut sogar.

Gleich bei der ersten Nummer des Abends, einem langsamen Nign, konnte man das feststellen. Sehr schön war auch das Zusammenspiel mit dem Akkordeonisten der Gruppe, Josh Dolgin.
Wenn Akkordeon und Mundharmonika ineinanderverschachtelte Melodien spielen, dann kann man als Zuhörer nur mehr schwer sagen, ob man jetzt zwei Instrumente hört oder eines.
Man stellt sich auch nicht mehr die Frage, ob die Mundharmonika ein geeignetes Instrument für Klezmermusik ist. Was man hört ist mitreißende Musik und diese würde bei jeder jüdischen Hochzeit (und nicht nur dort) die Leute zum Tanzen geradezu herausfordern.
Josh Dolgin ist übrigens auch bekannt unter dem Namen DJ So-Called. Unter diesem Pseudonym macht er Klezmer-Hip Hop, eine Mischung aus traditioneller Klezmermusik und modernem Hip Hop. Er nimmt dabei Klänge auf aus der jiddischen Welt (Klezmermusik, jiddische Lieder, jiddisches Theater), setzt sie neu zusammen und unterlegt sie mit Drum-n-Base.
Was dabei herauskommt klingt ganz in Ordnung. Immerhin durfte sich Josh Dolgin schon auf den CD's von David Krakauer (Klezmer Madness!) und auch Frank London (Klezmatics, Klezmer Brass Allstars) mit einer Nummmer verewigen.
Vor kurzem erschien auch eine eigene CD bei Piranha (Solomon & So-Called's Hip Hop Khasene), bei dem eine ganze jüdische Hochzeit im Klezmer-Hip Hop Stil dargeboten wird.

Zurück zum Konzert: Zusammen mit dem Gastmusiker und Sänger Hans Breuer hat Josh Dolgin einen jüdischen Rap zu Gehör gebracht und die Zuhörer schwer begeistert.
Hans Breuer ist ein Sänger von jiddischen Liedern aus Österreich und singt nicht nur Lieder aus dem Standard-Repertoire, sondern schreibt auch eigene jiddische Lieder.
Was seine Interpretationen besonders macht ist die Tatsache, daß sie unkonventionell und frisch klingen. Er spielt sich mit dem Text, Melodie und Rhythmus. So wirken seine Interpretationen niemals verstaubt sondern sehr lebendig.

Neben Hans Breuer gab es noch eine weiteren Gast, und zwar die junge Posaunisten Rachel Lemisch, die die Gruppe Shtreiml auf ihrer Tournee begleitet.
Rachel Lemisch trägt einen berühmten Namen. Die Familie Lemisch war eine Klezmer-Dynastie aus Moldawien und damals (also im 19. Jhdt.) sehr bekannt. Es war eine Ehre wenn das Ensemble von Lemisch auf einer Hochzeit aufspielte. Anfang des 20. Jhdts. ist die Familie nach Philadelphia ausgewandert, wo Rachel heute lebt und die Tradition ihrer Familie als Klezmorim weiterführt. Der Klang ihrer Posaune passt wunderbar zur Mundharmonika bei den langsameren Stücken, wenn sie die zweite Stimme spielt.

Noch kurz zum Repertoire von Shtreiml: sehr abwechlungsreich. Vor allem aber waren es Stücke,
welche man nicht bei jeder zweiten Klezmerband im Programm findet, sondern selten gespielte
Stücke, z.B. von Shloimke Beckerman, einem Klarinettisten aus der Blütezeit des Klezmer in den
1920er Jahren oder von Mickey Katz, einem Klarinettisten aus den 1950er Jahren, der sehr populär
war. Außerdem gab es auch einige selbstkomponierte Nummern von Jason Rosenblatt, unter
anderem eine schnelle Sirba, die er seinem ungarischen Onkel Tibor gewidmet hat. Furios auch das letzte Stück, ebenfalls eine Sirba und atemberaubend schnell auf der Mundharmonika gespielt.

Fazit:
Ein tolles Konzert von einer jungen Gruppe mit ungewöhnlichem Solo-Instrument.
Zum Schluß noch die Homepage, über die man auch die CD der Gruppe beziehen kann: www.shtreiml.com

Günther Schöller (narishe_tantz@8ung.at)

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