Virtual Klezmer

Budowitz
wedding without a bride

(Besprechung: Heiko Lehmann )

Budowitz - Wedding Without A Bride

Buda Musique 2000
Buda Musique 92759-2
Die Besetzung:
Majer Bogdanski (Voice)
Joshua Horowitz (Tsimbl, 19th Century Accordion)
Merlin Shepherd (19 th Century C and Eb clarinets)
Tamás Gombai (Violin)
Sándor D. Tóth (Violin, 3-String Bratsch)
Zsolt Kürtösi (Cello)
  Budowitz

 

 

Lieder:

Tsum Badekns
1. Gliner Gasn Nign (2:48)
2. Tsum Badekns (1:08)

Kale Bazingns
3. Opshpiln Di Kale (1:18)
4. Kale Bazingns (1:31)
5. Nokhspil (0:39)

Khosn Bazingns
6. Opshpiln Dem Khosn (2:24)
7. Khosn Bazingns (1:52)
8. Nokhshpil (0:28)

Di Khupe
9. Tsu Der Khupe (1:21)
10. Unter der Khupe (2:50)
11. Fun Der Khupe (2:24)

Tsum Tish
12. Mekhutonim Tsu Der Vetshere (2:05)
13. Piotrkower Tish Nign (2:53)

Far der Kale
14. Mitsve Tentsl (2:30)
15. Bughicis Freylakhs (2:43)
16. Novi Sacz Sirba (1:50)

Far Di Mekhutonim
17. Horowitz´s Dobranoc (3:54)
18. Broyges Tants (1:27)
19. Shulem Tants Mit Variatsyes (3:38)

Tsum Tants
20. Budowitzer Sher (5:57)

Gute Nakht
21. Horowitz´s Zogekhts (3:34)
22. Bney Heykhlo (2:57)
23. Gute Nakht Vals (2:43)
24. Shapiro´s Kohorod (1:57)

Budowitz-wedding without a bride
 

1997 hatten Budowitz mit Mother Tongue bei Koch International einen beeindruckenden internationalen Erfolg. Drei Jahre später findet man die Gruppe beim Pariser Label Buda Musique, und von der Band der ersten CD findet sich nur noch einer. Walt Mahavlich, Steve Greenman (jetzt bei Khevrisha), Lothar Lässer und Géza Pénzes (der auch bei Di Naye Kapelye ausgestiegen ist und jetzt ausschließlich traditionelle transsylvanische Musik spielt bzw. im Budapester Fónó aufnimmt) haben Budowitz mehr oder weniger verlassen, und man konnte meinen, die Band erholte sich davon nicht. Doch schon allein die Tatsache, daß Joshua Horowitz weitergemacht hat und er eben schon immer das musikalische und intellektuelle Herz der Gruppe war, stimmte zuversichtlich. Mit dem britischen Klarinettisten Merlin Shepherd (u.a. Ex- New Presumption ) fand Horowitz einen musikalischen Partner und in Ungarn ein Reservoir an exzellenten Musikern, aus denen er, in Graz lebend, schöpfen kann; es scheint, Joshua Horowitz hat von einer bestimmten Art von Überraschungen genug.

Dancing Without A Bride unternimmt den ernsthaften Versuch, eine traditionelle osteuropäisch-jüdische Hochzeit musikalisch nachzuzeichnen. Es gibt eine Reihe von Musikern, die das versucht haben, jedoch aus den verschiedensten Gründen daran gescheitert sind. Zum einen war da die Frage des Materials: meist hatte man zuwenig. Begab man sich auf die Suche, hatte man plötzlich zuviel, wenn man erkannte, daß Hochzeitsabläufe regional en detail variierten, und dies stand dem Trend des Revivals der achtziger und Anfang neunziger Jahre, allgemeingültige Versionen zu schaffen – authentisch zu sein – entgegen. Glücklicherweise wurde der Begriff Authentizität von einigen Musikern und Forschern – im Falle Horowitz in einer Person – überprüft und einer regionalen, demnach breiter gefächerten Definition zugeordnet; ein weites Feld. Mit dieser theoretischen Grundlage erst wurde das Album möglich.

Trotzdem war es noch immer ein schwieriges Unterfangen. Hochzeiten tragen eine unglaubliche emotionale Ambivalenz in sich, denn über aller Freude soll die Zerstörung des Tempels nicht vergessen werden, der die Juden in Goless, ins Exil getrieben hat und sie zwingt, im Exil Familien zu gründen und Kinder zu haben. Hochzeiten bedeuteten Tränen der Freude und Tränen der Trauer, und diesen schwierigen Job konnten die Klezmorim (die selbst genug Grund zur Trauer hatten, waren sie doch in Synagogen seit der zweiten Tempelzerstörung verboten, was ihren Ruf nachhaltig beschädigte – die Leviten wurden nicht mehr benötigt) nicht allein ausführen. Dafür gab es einen Badchn, einen Hochzeitsunterhalter, der Braut, Bräutigam, deren Eltern und die gesamte Hochzeitsgesellschaft dieser emotionalen Ambivalenz zu unterziehen hatte; schaffte er es nicht, war er ein schlechter Badchn.

Zitat Majer Bogdanski: “Wenn ein Kind geboren wird, weinen wir – wir weinen aus Freude; wenn das Kind beschnitten wird, dann weinen wir; bei seiner Bar Mitzwa oder Bat Mitzwa weinen wir; wenn wir sie zur Khupe (Traubaldachin)  führen, weinen wir: siehst du, es ist ein Weinen aus Freude, aber es ist notwendig. Wenn ein Jude kein gutes Gewein hat, dann entgeht ihm der Geschmack des Lebens – Juden können ohne ein gesundes Gewein das Leben nicht genießen.”

Die Aufgaben des Badchn waren überaus komplex, und der Erfolg einer Hochzeit hing vollständig von ihm ab. Mit Majer Bogdanski, 1912 in der Nähe von Lodz geboren, fand Budowitz einen zeitgenössischen Träger regionaler ostjüdischer Kultur, der darüber hinaus eine musikalische Ausbildung hat und trotz seines respektablen Alters gut bei Stimme ist. Von ihm lernten Horowitz und Shepherd detaillierte regionale Hochzeitsabläufe einschließlich der dabei gespielten Musik, die sie mit anderen ihnen bekannten Hochzeitsabläufen vergleichen konnten. Majer Bogdanski übernimmt die Rolle des Badchn auf der CD, während die Band sich in die traditionelle Rolle der Hochzeitsmusiker findet. (Übrigens soll demnächst in England eine Solo-CD mit Majer veröffentlicht werden)

An einer Stelle im (von ihm vorzüglich recherchierten) Text des Booklets erwähnt Horowitz, wie erstaunt er war, am Ende der Arbeit an der CD den Hochzeitsablauf, den sie zeigt, als eine feste Form, vergleichbar dem Ablauf einer klassischen Symphonie, vorzufinden. Dem stimme ich zu und nehme es als Zeichen, wie gelungen die CD ist.

Musikalisch setzt Horowitz (der mit vier Kompositionen aufwartet) mit seinen Zimbl- und Akkordeon-Solos Höhepunkte. Shulem Tants Mit Variatsyes halte ich für unerreicht. Der Band-Sound jedoch wird von allen getragen und gesteht insbesondere Merlin Shepherd viel Raum zu. Ich will nicht verhehlen, daß mir Ton (und z. T. Intonation) der Solo-Violine bei Kale Bazingns und Khosn Bazingns mißfielen; weitere musikalische Minuspunkte konnte ich nicht entdecken. Im Gegenteil: die Arrangements fordern (u.a. wegen des Zusammenspiels von Klarinette, Violine und Zimbl, oft unisono) mein Lob heraus.

Fazit:
Horowitz und Shepherd führen ein ausgezeichnetes, überaus anspruchsvolles, Klezmerensemble, das über ein rares und beeindruckendes Repertoire verfügt, welches der eigentliche Höhepunkt dieser CD ist. Ein musikalisch und konzeptionell überaus gelungenes Konzeptalbum, das Horowitz´s Status als Musiker und Forscher eindrucksvoll bestätigt und Merlin Shepherd in die Reihen seiner Vorbilder etablieren wird. Schade nur, daß die Qualität des Albums keineswegs durch sein Äußeres bestätigt wird. Die Grafik auf dem Cover verschließt sich hartnäckig meinem (seriösen) Verständnis, und beim Lesen des gediegenen Booklet-Textes dachte ich mitunter an Augenärzte. Yin und Yang? Nein. Die Musik entschädigt auch dafür.
 

Bewertung:
6-hervorragend
  Virtuosität
6-hervorragend Interpretation
5-ausgezeichnet Spielfreude
 Aufmachung (jedoch Informationen: 6-hervorragend)

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