Teil 2
Knitting on the Roof
Nach mehr als 35 Jahren haben sich
eine ganze Reihe illustrer Musiker aus New York
zusammengefunden um das möglicherweise etwas
ergraute Musical sagen wir “modern” zu interpretieren.
Der New Yorker Jazz-Klub Knitting
Factory (mit eigenem Plattenlabel) ist schon
seit geraumer Zeit bekannt dafür, nicht nur
in der Jazz-Szene neue Akzente zu setzen. Auch
viele in New-York lebende jüdische Musiker (und
New-York ist bekanntlich die größte jüdische
Gemeinde außerhalb Israels), die sich künstlerisch
/ zeitgemäß mit der Musik ihrer Vorväter auseinandersetzen,
haben dort ein Forum gefunden (nicht nur eine
Bühne).
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Ich halte den
weiten Kreis jüdischer Musiker aus New-York,
die auch immer wieder in der Knitting Factory
auftreten für eine der interessantesten
Entwicklungen zeitgenössischer Musik schlechthin
(von moderner Klassik in der sich z.B. der
virtuose Klarinettist David Krakauer
versucht, bis hin zum Avandgard-Jazz des
Saxophonisten und Masterminds John
Zorn. Oder: Guy Klucevsec,
Marc Ribot, Anthony
Coleman, usw. usw.) |
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Lieder:
- Tradition (4.34) - New
Orleans Klezmer All Stars
- Matchmaker (3.16) - The
Residents
- If I Were A Rich Man (5.08)
- Magnetic fields
- Sabbath Prayer (3.52) - Uri
Caine
- To Life (3.59 ) - Naftule’s
Dream
- Miracle of Miracles (4.30 )
- Dr. Eugene Chadbourne
- Tevye's Dream (3.57) - Negativland
- Sunrise, Sunset (3.16) - Jill
Sobule
- Wedding Celebration (4.43) -
Hasidic New Wave
- Do You Love Me? (4.09) - Come
- Far From The Home I Love (3.04)
- David S. Ware
- Chava Ballet Sequence (4.50)
- Elliott Sharp
- Anatevka (7.22) - Matt
Darriau’s Paradox Trio
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Unter dem “Dach” der Knitting Factory
haben sich zu dem Projekt “Knitting on the roof”
nicht nur New-Yorker Größen zusammengefunden,
sondern auch renommierte Musiker aus den Bereichen
Pop, Independent und experimentelle elektronische
Musik wurden gewonnen.
Daher möchte ich im folgenden nicht
nur auf die Stücke, sondern auch auf die jeweiligen
Interpreten selbst kurz eingehen:
Besprechung einzelner Stücke und deren Interpreten:
Die Melodie des Stückes Tradition
ist in der Version der New
Orleans Klezmer All Stars noch
klar zu erkennen, die schräg quäkende Klarinette,
Schlagzeug und die E-Gitarre schaffen ein sehr
flottes fast, anstrengendes Klangebilde. Die
New Orleans Klezmer All Stars sind eine der
interessantesten modernen Klezmer-Gruppen (offizielle
Homepage der Gruppe: www.klezmers.com)
Matchmaker: Die Gruppe the
Residents ist eine der Pioniere der
elektronischen Musik (sie kommen aus der Gegend
um Los Angeles). Sie sind schon seit Ende der
60er Jahre sehr aktiv und haben weit mehr als
50 Tonträger veröffentlicht. Keiner kennt ihre
wahre Identität und sie legen großen Wert auf
den Mythos, der sich seit Bestehen der Gruppe
um deren Mitgliedern rankt. Daher treten sie
auch stets in Verkleidung auf – ihr Erkennungszeichen
sind die “Augen-“ Kostüme.
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(Es gehen Gerüchte,
daß seit bestehen der Gruppe einige Mitglieder
ausgetauscht wurden, aber nichts genaues
weiß man eben nicht.) Meiner bescheidenen
Ansicht nach sind die Konzeptplatten “Constantinopel”,
“God in three persons”, “Eskimo” und “the
commercial album” die interessantesten Veröffentlichungen
dieser ausgezeichneten und wichtigen Gruppe.
(Eigentlich sollte jeder Musikliebhaber
diese Gruppe zumindest vom Namen her kennen!)
Ihre Version des Stückes vom Heiratsvermittler
gefällt mir nicht 100%; die verfälschten
Stimmen gehen bald auf die Nerven. (Offizielle
Homepage der Residents: http://www.residents.com)
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If I Were
A Rich Man ist ein besonders schönes
Stück mit einer wunderbaren Melodie und
einem tollen Text. Die Gruppe Magnetic
fields konzentriert sich auf die
Essenz des Liedes und ihnen gelingt ein
Höhepunkt der CD! Die tiefe rauchige Stimme
von Stephin Merritt nur begleitet von John
Woo auf dem Banjo schaffen die Atmosphäre
eines verregneten Oktobertages – einfach
genial. Dieses Stück alleine würde diese
CD schon rechtfertigen. (Übrigens hat magnetic
fields vor kurzem – Anfang 2000 – eine interessante
CD-Box “69 love songs” veröffentlicht. Kann
ich Liebhabern von Minimal- Independent
nur empfehlen. (Magnetic fields kleine aber
feine Fansite: http://www.trouserarousal.net/magfields/mf.html
weiterführende Artikel in der Zeitschrift
rolling stone: http://www.rollingstone.com)
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Sabbath Prayer
- Der Pianist Uri Caine
hat in letzter Zeit für viel Trubel gesorgt
mit seinen “klassischen” Interpretationen
Gustav Mahlers wird hier gesanglich von
Lorin Sklamberg unterstützt,
dem Sänger der Klezmatics.
Caine spielt großartig und Sklamberg ist
sowieso eine begnadeter Klezmer-Stimme.
Sie spielen zusammen eine ruhige poetische
Reinterpretation - Da braucht man nicht
viel zu sagen – Großartig. (Internet-Seiten
zu Caine: http://www.steppinin.com/ucbio.html)
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Die Gruppe Naftule's
Dream steht für sehr moderne
und freie Klezmer-Musik beeinflußt von free-jazz
a la Ornette Coleman oder Cycil Tailor.
Ihre Version des Stückes To Life
ist dementsprechend “ungewöhnlich”. Eher
was für Freunde der extremen Musik – selbst
mir zu unmelodisch; (Die Gruppe im Internet:
http://www.steppinin.com/ndbio.html)
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Tevye's Dream
ist weniger ein Lied, sondern vielmehr
eine sehr farbige Tonkollage, die sogar
gelegentlich entfernt an das Musical-Original
erinnert. Die experimentelle Gruppe Negativland
mischt gelegentlich Radiokommentare, Karneval-artigen
Tumult, Lachen und viele weitere ein. “Mazel-Tov
Mazel-Tov” wird gerappt – in Zeitlupe, verzerrt,
geschnitten, zerrissen und wieder von vorne
– wer sich darauf einläßt erhält quasi eine
Achterbahnfahrt umsonst. Spielfreude: 100%;
(geniale homepage von Negativland: http://www.negativland.com/)
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Sunrise, Sunset
von Jill Sobule ist neben
magnetic fields If I Were A Rich Man
der weitere eindeutige Höhepunkt dieses
farbenfrohen CD. Jill singt dieses oft gespielte
und oft zersungene Stück unglaublich behutsam
und gefühlvoll. Der Text kommt voll zum
Ausdruck. Ein wunderschöner Popsong. Schlußtext
des Stückes: “Layed in with happiness and
tears” – treffender kann man die Interpretation
nicht beschreiben. (offizielle Site von
Jill Sobule: http://www.jillsobule.com/;
gute Fansite: http://members.home.net/martinrussell/sobule.html)
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Das Stück Wedding Celebration
haben sich Hasidic
New Wave angenommen, die Gruppe
um den Trompeter Frank London. Sie haben inzwischen
selbst vier Platten veröffentlicht und stehen
für sehr freie und moderne Interpretationen
einer klezmer-artigen Musik. Wedding Celebration
ist eine lebhafte, freche und laute Version.
Auch eher was für ein dickes Fell...
Die Gruppe Come nimmt
ihren Auftrag, das Stück Do You Love Me?
zu spielen humorvoll. In einem Café zwischen
einem Toast und einem Kaffee geht er zum Telefon:
Do You Love Me? als verfremdetes Telefonat
umrandet von der Klarinette Thalia Zedek’s und
der Gitarre von Chris Brokaw. Nu ja. Fragwürdig.
Far From The Home I Love nimmt David
S. Ware zum Anlaß für ein ausgedehntes
Saxophon-Solo. Leider kenne ich den Musiker
nicht, aber er scheint ein ausgezeichneter
Jazzer zu sein mit viel Gefühl für Intonation.
Ein ruhiges Stück wie eine nasse Straße
downtown New York. (Eine kurze Einführung
zu Ware findet sich unter http://www.aumfidelity.com/david-s-ware.html)
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Elliott
Sharp ist ein wichtiger experimenteller
Musiker aus dem Knitting-factory- Dunstkreis
der neben vielen eigenen Projekten auch
bei einer Reihe jüdischer Angelegenheiten
mitgewirkt hat (Bsp.: Geduldig un
Thiemann: “a haymish groove”) Chava
Ballet Sequence ist eine langgezogene
Gitarren- Phantasie. Mir kann sie nicht
so recht zusagen. Zu wenig Melodie und ein
verwirrender Rhythmus. Zu unklar bleibt
die musikalische Aussage. Eher ein schwächeres
Stück der CD. Es paßt auch überhaupt nicht
zum Rest der CD. (offizielle Site von Elliott
Sharp: http://www.algonet.se/~repple/esharp/es.html)
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Anatevka erkennt
man nicht so recht wieder. Dennoch schafft
Matt Darriau mit seinem Paradox
Trio eine stellenweise fast arabisch
angehauchte musikalsische Homage an das
Dorf Anatevka. Vielschichtig, sehr
modern. |
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Fazit:
Ein starkes Stück Musik. Viele gewichtige
Musiker wurden für das Projekt engagiert. Und
genau darin liegt auch die große Schwäche der
CD. So gut die einzelnen Stücke auch sein mögen,
so fällt es schwer, die CD als ein einheitliches
Werk zu sehen. Das geht gar nicht. Jedes Stück
steht für sich und damit zerfällt die CD in
ein bunt schillerndes Mosaik bei dem die einzelnen
Teile wunderschöne Steine zusammengenommen kein
klares Bild ergeben.
Daher sei jedem empfohlen, der ein
kondensiertes Extrakt moderner jüdisch inspirierter
Musik zu sich zu nehmen bereit ist, die Stücke
nicht nacheinander abzuspielen, sondern zeitlich
getrennt.
Die CD ist ein Sampler mit Motto.
Gut, mit Klezmer hat das wenig zu tun, das gebe
ich zu. Aber was ist schon Klezmer??? Ist Klezmer
heutzutage nicht mehr eine Idee als ein konkretes
Gebilde - Ein Ahnung, ein Schatten mehr als
ein Gesicht?
Bewertung:
Interpretation
Virtuosität
Spielfreude
Aufmachung
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