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Verbindungen zu vokaler Musik

Verbindungen zu vokaler Musik

In der Synagoge, zu Hause und besonders in der Chassidischen Kultur dominierten Gesänge die Musikwelt.Der Einfluß dieser allgegenwärtigen vokalen Traditionen auf Klezmer-Musik ist zwar bisher noch kaum erforscht, steht aber außer Frage. Viele der gesungenen Melodien wurden von Klezmorim aufgegriffen und nachgespielt. Ganze Lieder fanden von vokaler zu instrumentaler Interpretation und so ist es nicht immer möglich, zwischen instrumentaler oder vokaler Herkunft eines Stückes zu unterscheiden. Auch die Art und Weise, wie ein Instrumentalist eine Melodie ausarbeitet und welche Klänge er auf seinem Instrument zu erzeugen versucht, wurden und werden vokalen Vorgaben nachempfunden.

    “It’s really clear that the early klezmer musicians wanted to make their instruments sing. Verbal ornaments associated with klezmer music, it’s more than just an instrumental phenomenon.” (Interview Kligman)

Der wichtigste Vertreter der Vokalmusik in den ostjüdischen Gemeinden war der Vorsänger in der Synagoge, genannt Kantor oder Chasan (manchmal auch Chazzan oder Khazn geschrieben). Man ist sich einig, daß kein Aspekt der jüdischen sakralen und säkularen Musik von dessen Stil unberührt blieb.Diese Vorsänger haben den biblischen Auftrag, mit ihrem Gesang “durch das Ohr in die Seele menschlicher Zuhörer zu dringen, Erschütterung hervorzurufen und auszudrücken, das Wort der Lehre klanglich zu heben und seinen Sinn verständlich zu machen”.

Mit einer bevorzugt dem lyrischen Tenor entsprechenden Stimme haben die östlichen Chasanim [Plural von Chasan] eine an Verzierungen und unmetrischen, gefühlsgeleiteten Improvisationen reiche Gesangstradition hervorgebracht. Der jüdische Musikforscher Abraham Zvi Idelsohn beschreibt kantoralen Gesang dementsprechend mit blumigen Worten:

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    “Darin haben die östlichen Chasanimeine einzigartige Kunst geschaffen: in der Elastizität, in den freien Tongruppierungen, Passagen und Biegungen - eine Koloratur von blendender Verschlungenheit, von schwindelnder Phantasie und schneidend witziger Finesse (...) Die Koloratur im osteuropäischen Chasanuth gleicht einer Seele im Körper; ohne sie verliert das Chasanuth seine Lebenskraft, seinen Zauber und Reiz.” (Idelsohn 1932 Band VIII:2)

Diese Emotionalität findet sich auch in Klezmer-Musik wieder. Hervorgerufen wird sie durch die kunstvoll eingesetzten Verzierungstechniken. Viele der typischen Elemente, wie sie im Abschnitt über Phrasierung/Ornamentierung beschrieben werden, sind dem Vorbild des Chasan nachempfunden worden. Für die Entstehung und Entwicklung von Klezmer-Musik in Osteuropa ist die Kunst der Chasanuth ein wichtiger Aspekt, auch wenn Studien zu diesem Thema bisher fehlen. Der Stil der osteuropäischen Chasanim hat sich im neunzehnten Jahrhundert in vielen Ländern stark verändert, spätestens in den USA sind insbesondere die vielen Verzierungstechniken verschwunden und durch eine reformierte, an der westlichen Musik orientierte Interpretation ersetzt worden. Heute kann man kaum noch von einer direkten Vorbildfunktion des Kantors für die moderne instrumentale Musik sprechen.

Eine andere Gesangstradition, die jiddischen Lieder, nahm im traditionellen Osteuropa ebenfalls einen wichtigen Platz ein. Anders als im Fall von Klezmer-Musik gibt es über sie zahlreiche Studien, Sammlungen und Liederbücher. Heute noch legt man in vielen Familien großen Wert auf die Pflege der Volkslieder . Viele werden zu Hause während des Sabbat gesungen. Die sogenannten S’miroth oder Zmiros, sind eine der ältesten bekannten Musikformen des Judentums überhaupt. Im sechzehnten Jahrhundert erschienen die ersten Liedsammlungen und bis heute hat sich eine unüberschaubare Vielfalt an Dichtungen und Melodien angesammelt, die jedes profane und religiöse Thema aufgreifen. In den ostjüdischen Gemeinden setzte ab dem achtzehnten Jahrhundert eine wahre Blütezeit des jiddischen Liedes ein. “Der echte Volkston dieser Lieder, ihre starken Gefühlsinhalte und die Unmittelbarkeit der Gedankensprache verschafften ihm eine universelle Geltung, die auch heute noch unvermindert anhält.”

Die Zmiros beinhalten eine Fülle von Stoffen, die sich aus unzähligen Elementen, “angefangen mit orientalischen Kantillationsformeln und Gebetsmoden verschiedenster Herkunft über die Beimischung von slawischen, balkanischen, ungarischen oder deutschen Liedern und Leitmotiven bis zur Übernahme von Instrumentalstücken, Märschen, Schlagern” zusammensetzen. Es wird vermutet, daß in Osteuropa Lieder umgekehrt auch in das Klezmer-Repertoire aufgenommen wurden. Sicher ist, daß viele Eingang in das moderne Repertoire von Klezmer-Musik gefunden haben. Eine Reihe von Bands haben in ihrem Programm einen beträchtlichen Anteil an Liedern, bei manchen überwiegen sie sogar.

 Eine weitere Vokaltradition, die ebenfalls einen nicht unerheblichen Einfluß auf Klezmer-Musik hatte, ist die der Chassidim. Diese bis heute bestehende orthodoxe jüdische Bewegung bezieht sich auf die Kabala, einer aus dem Mittelalter stammenden mystischen Schrift. Das Gedankengut der Kabala fand seinen Weg von Deutschland ausgehend in die östlichen Länder, wo es unter der Leitung des Israel Baal Shem Tov in der jüdischen Religion zu großer Bedeutung gelangte. Der wichtigste Gesichtspunkt seiner neuen religiösen Haltung war es, sich gegen die intellektuelle Herangehensweise des permanenten Studiums der biblischen Texte zu wenden und vielmehr in der ekstatischen Verehrung Gottes eine Einheit von Körper und Geist zu erreichen. Dabei spielen Gesang und Tanz zur Unterstützung der Gebete die wichtigste Rolle. Der Chassidismus verbreitete sich nach dem achtzehnten Jahrhundert über weite Teile Osteuropas und hat heute noch in Amerika und Israel große Bedeutung.

Gesang wird bei den Chassidim als Hauptquelle religiöser Inspiration angesehen und stellt nach dem Gebet die wichtigste religiöse Pflicht dar. Durch sich immer wiederholende wortlose Melodien, sogenannter Niggunim (Singular Nigun oder Nign), singen und tanzen sich die Chassidischen Männer unter der Leitung ihres Tzadik in einen tranceartigen Zustand, durch den sie nach größtmöglicher Nähe zu Gott streben. Die Lieder bestehen aus einfachen Melodielinien, sind leicht nachzusingen und beinhalten immer eine stark emotionale Komponente . Obwohl man in Gruppen zusammen singt, wird jedes individuelle Singen als ganz persönlicher Ausdruck der Gottesverehrung angesehen und erhält dadurch eine eindrucksvolle Direktheit.

    “Much of the body of Chassidic song is wordless, employing only vocalized syllables, such as `bim bom,´ `aha aha,´ `dai dai,´ `yam bam,´ etc. This is due to the fact that according to the rebbis, the melody alone is of primary importance (...) A melody with text was (...) limited to time, for with the conclusion of the words, the melody, too, comes to an end. Whereas, a tune without words can be repeated endlessly.” (Pasternak 1968:Introduction)

Durch die weite Verbreitung der Chassidim hatten viele der Klezmorim in Osteuropa zu ihnen Verbindung und fanden nicht selten Arbeit bei Chassidischen Hochzeiten. Ihre Hochzeitsmusik ist in vielem der Klezmer-Musik ähnlich, trotzdem kann man sie nicht einfach zusammenfassen. Auch in den USA fanden in den fünfziger Jahren viele amerikanische Klezmorim zusätzliche Einkünfte bei den neu Eingewanderten. Wegen der musikalischen Gemeinsamkeiten war es nicht schwer für sie, das verlangte Repertoire zu erlernen. Andy Statman, der selber einer Chassidischen Gruppe beigetreten ist, sieht bis heute große Ähnlichkeiten zwischen den beiden Musiktraditionen und geht sogar soweit, daß er sie nicht mehr grundsätzlich trennt. Seiner Erfahrung nach haben sich in vielen Liedern auch ursprünglich instrumentale Stücke in Form von Gesängen innerhalb der Chassidischen Gemeinden erhalten.

    “It still is a living tradition, maybe not as a play, but people still can write music in this old style and there are people who dance who understand what the intent of the music is and they can write in that style and it has that feel. But it’s by no means dead. But you will very rarely see it though at a Hassidic wedding and it’s something that’s done more privately or actually for religious celebration or something like that.” (Interview Statman)

In den letzten Jahren haben wieder einige Klezmorim wachsendes Interesse an der traditionellen Musik der Chassidim gefunden. Hier spielen häufig neben den musikalischen immer öfter auch spirituelle Aspekte eine große Rolle.

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