Virtual Klezmer

von der Khupe zum KlezKamp
5. Fully Klezmerized
2 musikalische Schwerpunkte

   

Zwei musikalische Schwerpunkte

Durch musikalische Experimente haben Künstler die traditionelle Musik für sich erobert und zu einem lebendigen Ausdruck der Gegenwart gemacht. Jeffrey Oboler, der Direktor des New Yorker “Martin Steinberg Center for Jewish Artists”, glaubte schon 1983 zwei übergeordnete Herangehensweisen an Klezmer-Musik beobachten zu können.

Khupe-5-09
 

    “The `preservationists,´ who seek to re-create the sounds of traditional music as a means of preserving Jewish culture, and more contemporary musicians who strive to create new forms of music, borrowing heavily - in the manner of Jewish music throughout the ages - from surrounding cultures to create something fresh and unique to America.” (Reisner 1983:17)

Bis heute haben sich zwei Schwerpunkte in etwas anderer Form bestätigt. Bei den meisten Musikern kann man feststellen, daß sie entweder auf ein öffentliches Bedürfnis reagieren und sich stark nach dem Publikumsgeschmack richten. Der Einfachheit halber sollen sie hier als ,Mainstream”bezeichnet werden. Der zweite Trend stellt insgesamt eine kleinere Gruppe dar und wird zum größten Teil von Profimusikern verfolgt. Für sie ist Klezmer-Musik eine individuelle künstlerische Ausdrucksform und spielt eine wichtige Rolle in ihrem kulturellen Selbstverständnis. Sie sollen zur besseren Abgrenzung als “Profis” bezeichnet werden.

Die “Mainstream” Gruppen lassen sich vor allem dadurch charakterisieren, daß sie die Bedürfnisse und Erwartungen ihres Publikums bedienen. Hochzeitsfeiern, Bar Mitzwahs und andere Anlässe sind häufig ihre wichtigsten Auftrittsorte. Es gibt inzwischen in fast allen größeren aschkenasischen Gemeinden der USA mindestens ein solches Ensemble. Ein gemeinsames Merkmal, das die “Mainstreambands” häufig aufweisen, ist ihr Programm. Die Stücke sollen möglichst zugänglich sein und es werden eingängige Lieder oder bekannte Tänze bevorzugt. Ihr Repertoire enthält generell viele Hits aus der jiddischen Theaterwelt und Volkslieder und meist nur eine verhältnismäßig kleine Menge an bekannten instrumentalen Stücken. Viele dieser Bands bestehen aus Hobbymusikern und spielen, weil in ihrer Umgebung ein Wunsch nach Klezmer-Musik besteht. Die Musik haben sie oft aus Notenheften oder durch das Nachspielen der Aufnahmen ihrer Lieblingsbands gelernt. Sie dient vor allem dazu, ein Bedürfnis im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Anlässen zu erfüllen. Nicht der rein künstlerische Ausdruck steht im Mittelpunkt, sondern die Musik ist Mittel zum Zweck. Vorrangig ist daher nicht das intensive Studium des Musikstils, sondern es genügt meistens, sich nur die offensichtlichsten Elemente oberflächlich anzueignen.

    “I don’t think that a lot of the people who are playing what would be `klezmer´ music today are really well trained in the style or really in fact even understanding the style. It becomes very easy for people to learn a melody of a Jewish song and text and superficial bits of ornamentation and that’s fine.” (Interview Statman)

Eine der in Amerika bekanntesten Klezmer-Bands läßt sich unter gewissen Vorbehalten diesem Schwerpunkt zuordnen. Vor allem wegen ihres Repertoires und ihrer zugänglichen Präsentation, kann man sie als “Mainstream” bezeichnen. Die Klezmer Conservatory Band, kurz KCB genannt, besteht allerdings aus Profimusikern, die Klezmer-Musik sehr genau studiert haben und traditionsbewußt interpretieren. Sie wurde 1979 von Hankus Netsky am Musikkonservatorium in Boston gegründet, nachdem Studenten ein paar Klezmer-Stücke bei einem Konzert gespielt hatten und unmittelbar für eine Hochzeit angefragt wurden. Netsky hat sich seitdem intensiv mit der Tradition von Klezmer-Musik beschäftigt und kombinierte von Anfang an traditionelle Klezmer-Stücke mit einer Vielzahl jiddischer Lieder und vor allem Theatermusik. Die KCB hat eine gut einstudierte, vielseitige Show, bei der sie vom kleinen Kammerorchester bis zur vollen Bigband Besetzung alles bietet. Durch die Auswahl bekannter und beliebter Stücke, die sie anspruchsvoll arrangieren, ist die Gruppe bei einem großen Publikum in den USA sehr beliebt und sticht unter den “Mainstreamensembles” als positive Ausnahme hervor.

Für eine weit kleinere Anzahl von Klezmorim in Amerika ist der Grund, sich mit Klezmer-Musik zu beschäftigen nicht die gesellschaftliche Nachfrage, sondern ein persönliches, künstlerisches Bedürfnis. Sie suchen eine bewußte Auseinandersetzung mit ihrem aschkenasischen Kulturhintergrund, allerdings selten aus religiösen Gründen. Viele von ihnen haben sich dem Erhalt des musikalischen Erbes verschrieben oder wollen die Tradition in einer für sie selbst relevanten Weise weiterentwickeln. Dabei spielt das Publikum eine zwar zum Überleben notwendige, aber für den künstlerischen Ausdruck zweitrangige Rolle. Bands wie u.a. Brave Old World, Kapelye und The Klezmatics haben ihr Programm auf Konzerte zugeschnitten, gesellschaftliche Anlässe sind nicht ihr Hauptverdienst. Der Trompeter Frank London von The Klezmatics erklärt:

    “We want to make music that’s relevant. Our goal is not to play klezmer - according to me - our goal is to play good music, relevant music, exciting music, personal music, idiosyncratic music - that is clearly klezmer music and Yiddish music.” (Interview London)

Die traditionelle Klezmer-Musik dient als Grundlage um sie künstlerisch weiterzuentwickeln. Viele der “Profi” Bands haben über Jahre hinweg die vielen besonderen Elemente des Musikstils verinnerlicht, bevor sie eine eigenständige Interpretation von Klezmer-Musik entwickelten. Zev Feldman vergleicht diesen Prozeß mit dem Studium einer Sprache. Erst wenn man sie wirklich beherrscht, kann man Gedichte schreiben. Trotz der Experimente ist es den Künstlern wichtig, daß sie sich dabei nie außerhalb der Tradition stellen. Der Sänger von The Klezmatics, Lorin Sklamberg, erläutert:

    “The challenge is to put yourself into the music without loosing the essence,´ says Sklamberg, `and in order to be able to do that, the basic information always has to be in the back of your mind. We’re always aware of that.” (wie zitiert in: Heller 1995:52)

Die “Profis” beziehen ihre eigenen musikalischen und kulturellen Erfahrungen mit in ihre Interpretation der Musik ein. The Klezmatics vermischen die traditionelle Klezmer-Musik mit Rock-, Pop- und Jazzelementen, sowie mit klassischen und vom Balkan inspirierten und ihren eigenen musikalischen Vorstellungen. Dadurch entsteht eine, der multikulturellen New Yorker Umgebung entsprechende Musik. Zusätzlich kreieren sie in ihren vielen eigenen Kompositionen einen abwechslungsreichen und zeitgemäßen Klang. Brave Old World hingegen hat einen stärker auf die osteuropäischen Traditionen bezogenen, hohen künstlerischen Anspruch mit einem Hang zu Kunstmusik und legt ebenfalls großen Wert auf eigene Kompositionen. Kapelye steht ganz in der amerikanischen Tradition der ersten Klezmer-Generationen, die sie bei ihren Konzerten möglichst originalgetreu aber ohne nostalgische Verklärung in die Gegenwart holen.

Vor wenigen Jahren hat sich im KlezKamp eine Gruppe von jungen Musikern mit einem bis dahin ungewöhnlichen Ansatz herausgebildet. Sie verfolgen eine sogenannte “ultra-traditionelle”Klezmer-Musik. Die Ensembles sind stark an den Vorbildern aus Osteuropa orientiert und bestehen nur aus akustischen Instrumenten. Trotz der Aufnahme von 1979 von Zev Feldman und Andy Statman , bei der Zimbl, Klarinette, Mandoline und Baß ruhige Instrumentalstücke interpretieren, hat der Bereich des traditionellen Repertoires von Klezmer-Musik, der nicht dem Tanz gewidmet ist, in den USA wenig Beachtung gefunden.

Der Klarinettist von Brave Old World, Kurt Bjorling, hat sich seit den achtziger Jahren mit diesem vernachlässigten Aspekt in der Musik intensiv beschäftigt. Er sammelte eine beachtliche Menge alter Klezmer-Aufnahmen und stellte sie anderen Musikern zur Verfügung. Mit seinem eigenen Ensemble, dem “Chicago Klezmer Ensemble”, spielt er neben vielen bisher unbekannten, nur in seltenen Schellackaufnahmen erhaltenen Stücken, auch eigene Kompositionen.

Der Klarinettist Joel Rubin und die in Österreich lebenden (teilweise aus Amerika stammenden) Musiker der Gruppe Budowitz haben sich ebenfalls jahrelang dem intensiven Studium der Tradition aus Osteuropa gewidmet. Aus dem rituellen Zusammenhang genommen, scheint für ein größtenteils völlig unreligiöses Publikum diese Musik aber nur schwer nachvollziehbar zu sein. Daher findet sie bisher eigentlich nur intern unter den Klezmorim die verdiente Anerkennung.

    “I don’t think the ultra-traditional is gonna find an audience (...) It’s too weird, too distant for most people to appreciate that sound. But it’s going to succeed to help spread the landscape of what klezmer music is about. It’s very important that that’s going on.” (Interview Sapoznik)

Weiter

 

© 2002 by Susan Bauer. All rights reserved.; Disclaimer
Veröffentlichen und Zitieren außerhalb von www.klezmer.de  nur mit Genehmigung des Autors.
 Aktuelles
 Deutschland
 Besprechungen
 Download
 Links
 Forum
 Von der Khupe...
 Neuigkeiten
 Veranstaltungshinweise
 Einleitender Aufsatz: Klezmer in Deutschland
 Deutsche Gruppen
 Gruppen stellen sich selbst vor
 Linksammlung: deutschen Gruppen
 Liste aller besprochenen Gruppen
 Gruppen/Platten<
 Konzerte
 Bücher
 Filme
 MP3
 Noten
 Liedertexte>
 Linksammlung: internationale Gruppen
 Linksammlung: deutschen Gruppen
 Aufwind
 a Tickle in the heart
 Chalil
 Colalaila
 Di Chuzpenics
 Di grine Kuzine
 Duo Avierto
 Helmut Eisel
 Gebrider Moischele
 Giora Feidman
 Harrys Freilach
 Huljet
 Jerewan
 Kasbek
 Khupe
 Klezgojim
 KlezmerOrchester
 Klezmers Techter
 Klezmorim (Tübingen)
 Kol Simcha
 MasselTov
 Mesinke
 Ojojoj
 Tacheles Klezmer Company
 Schnaftl Ufftschik
 Yankele Kapelle
 Yiddish Blues
 Zwetschgendatschi
 Neue Titel
 Übersetzungshinweise
 Titel A-E
 Titel F-L
 Titel M-S
 Titel T-Z
 Übersicht
 Historisch (vor 1940)
 in der Versenkung (1940-75)
 Revival (1975-90)
 Traditionalisten (ab 1990)
 Erneuerer (ab 1990)
 jüdische Lieder
 Aufnahmen für Kinder
 Stile und Formen
 persönliche Top 10
 Diskussions-Forum
 altes Gästebuch
 altes Schwarzes Brett
 Impressum+Kontakt
 Inhalt
 Vorwort
 1. Shvaygn = Toyt
 2. Klezmology
 3. A world of Klezmer
 4. Freilach in Hi-Fi
 5. Fully Klezmerized
 6. Tradition is a Continuum
 Bibliographie
 Diskographie