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Frank London’s Klezmer Brass Allstars am 20.11 2000 in München

(Besprechung: thilo joergl)

Frank London´s Klezmer Brass Allstars bei den 14. Jüdischen Kulturtagen (20.11.2000)

„A Shiker is a Blojser-Spiler“

Frank London´s Klezmer Brass Allstars bei den 14. Jüdischen Kulturtagen (20.11.2000)

Als es noch kein Klezmer-Revival gab, vor der Vernichtung der Osteuropäischen Juden und der Jiddischen Kultur, weit vor den Auswanderungswellen in die „Gildene Medine“ Amerika, das gar nicht so golden war wie es glänzte, also irgendwann vor dem Ende des letzten Jahrhunderts da gab es die Shikeren Kapellen. Diese jidischen Musik-Gruppen, die sich - neben ihrer Trinkfreudigkeit - vor allem durch enorme Spielfreudigkeit auszeichneten, zogen irgendwo zwischen Odessa und Minsk umher. Zumindest fand man dort einige Hinweise für die Existenz jener Kapellen.

Damals, als man linguistisch noch einen klaren Unterschied zwischen „Musiker“ und „Klezmer“, dem jüdischen Musikanten zweiter Klasse machte, zogen sie von Hochzeit zu Hochzeit, von Fest zu Fest und spielten ihre Freylachs und Nigunim, von welchen sie mehr schlecht als Recht leben konnten. Trompeter Frank London, Gründungsmitglied der fast schon legendären Klezmatics, holte im vergangenen Jahr die besten Bläser verschiedenster US-Amerikanischer Klezmer-Bands wie The Klezmer Conservatory Band oder Brave Old World in John Zorns Knitting Factory und sie spielten dort, ganz in der Tradition jener ostjüdischen Kapellen, ihre erste Klezmer-Brass-Platte ein. Frei nach dem Motto, das auch ein Liedtitel ist, „A Shiker is a Blojser-Spiler“ (Ein Betrunkener ist ein Bläser). Dass diese etwas angeheiterten - man gönnte sich ein Gläschen „Williams“ -New Yorker Musiker virtuose Brass-Spieler sind und so manchem nüchternen Bläser den Weg weisen können, bewiesen sie nun erstmals auf ihrer Deutschlandtournee. Diese führte sie während der 14. Jüdischen Kulturtage auch in den Münchener Gasteig.

Die Kulturtage waren in diesem Jahr zwar speziell den Sepharden gewidmet, doch lag die Gesellschaft zur Föderung jüdischer Kultur und Tradition mit der Verpflichtung des achtköpfigen Ensembles goldrichtig. Dass die Gruppe ohne Verstärkeranlage in der relativ kleinen Black Box konzertierte, war ebenfalls eine richtige Entscheidung. Hautnah am Publikum spielten die sechs Bläser und zwei Percussionisten (Stuart Brotman an der Poyk Drum und John Hollenbeck am Schlagzeug) ihre rauhen Bulgars, Freylachs, Horas und all die anderen - meist ungeraden - Klezmer-Rhythmen.

Und zum krönenden Abschluss marschierten sie noch ins Publikum hinein und zeigten, dass sie von Tuten und Blasen mindestens genauso viel Ahnung haben, wie ihre teuer gehandelten Kollegen des German bzw. Canadian Brass.

Was die Band auszeichnete, waren technisch brillante, jazzig improvisierte Soli, die stets im intelligenten Zusammenspiel mündeten. Dabei drehte sich alles um Frank London. Mit einer Hand gab er die Einsätze und mit der anderen hielt und spielte er seine Trompete. Und wie! Was die legendären Klezmer-Klarinettisten Naftule Brandwein (auch sein Name ist wohl ein Indiz dafür, dass seine Familie aus der Tradition einer Shikeren Kapelye kam) und Dave Tarras aus ihren Klarinetten herausbliesen, dass machte London wie kein anderer auf seiner Trompete. Und selbst wenn er beim balladesken „Shtetl Nign“ leise durch den Dämpfer quäkte, hatte er noch ungemein viel zu sagen. Gleiches galt auch für den Posaunisten Mark Hamilton. Aufgrund der dominanten Trompeten und Posaunen ging leider Klarinettist Merlin Shepherd etwas unter, der aber in seinen Soli bewies, dass er genau weiß, wie eine Klarinette nach Klezmer klingen muss.

Neben vielen unbekannten, orientalisch klingenden Liedern, verblüfften die New Yorker auch mit Brass-Versionen von Gassenhauern wie „Ot Azoy“ oder „Di Saposhkelach“, wie man sie zuvor noch nie gehört hatte. Und falls die Kapelle einen Tick zu spät einsetzte oder nicht exakt synchron spielte, dann war das ein Ergebnis ihrer Spontanität. Die Rolling Stones wurden damit weltberühmt, Frank Londons Kapelle hat - was die Klezmer-Szene betrifft - Maßstäbe gesetzt. Und wie hieß das beste Lied des Abends? „Lechaim, Efraim“ (Prost, Frank).

Dem ist nichts hinzuzufügen.

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