Tarras, wie viele aus Osteuropa kommende
Klezmorim, konnte sich jedoch nie wirklich
in die Welt des Jazz einfinden. Erst die
in Amerika geborene Generation fand einen
selbstverständlichen Umgang mit der amerikanischen
Musik, wie zum Beispiel Sam Musiker.
Er kam aus einer Klezmer-Familie, begann
aber schon mit achtzehn Jahren in Gene
Krupas Swing Jazz Orchestra Tenorsaxophon
und Soloklarinette zu spielen und erfolgreich
mit Kombinationen aus Klezmer-Musik und
Jazz zu experimentieren. Er heiratete
die Tochter von Dave Tarras und wurde
nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in der
jüdischen Musikwelt aktiver. In den Jahren
1947 und 1948 entstanden einige dem zeitgenössischen
Stil entsprechende Platten, bei denen
Musiker die Jazzarrangements für Tarras
so konzipierte, daß seine Schwäche im
Jazz verdeckt wurde und er nur in Klezmer-Sektionen
als Solist hervortrat. Tarras schien jedoch
selber von der Mischung nie ganz überzeugt
gewesen zu sein.
“It’s not
Jewish cause it’s mixing in too much
Jazz and it’s not Jazz cause it’s mixing
in too much Jewish. It’s what killed
it: too much Jazz.” (Dave Tarras wie
zitiert in: Sapoznik 1992)
New Yorker Klezmorim, die nach den zwanziger
Jahren geboren wurden, lernten Klezmer-Musik
in einer Zeit, als die vielen amerikanischen
Elemente und die Hits der jiddischen Theater
ebenso selbstverständlich zum Repertoire
eines Klezmer gehörten, wie israelische
Tänze ab den späten vierziger Jahren.
Dave Tarras hatte mit seinen Kompositionen
und seinem persönlichen Stil das amerikanische
Repertoire soweit geprägt, daß sich heranwachsende
Musiker nach ihm orientierten. Viele von
ihnen lernten nicht mehr nur von den eigenen
Verwandten, die häufig als altmodisch
abgetan wurden, sondern studierten mit
indirekteren Quellen wie modernen Schallplatten
und Notenheften. Die wichtigsten
Notensammlungen waren die “Hebrew
Wedding Dances”, die 1916 von den
Brüdern Nat und Wolf
Kostakowsky veröffentlicht wurden,
sowie “The International Dance Folio”,
allgemein als “The Kammen Books”
bezeichnet, die 1924 von den Brüdern Jack
und Joseph Kammen in zehn
Bänden publiziert wurden. Teilweise werden
diese Sammlungen bis heute aufgelegt.
Sie waren ein wichtiger Faktor für die
Standardisierung von Klezmer-Musik
und trugen dazu bei, daß das Repertoire
mehr und mehr um die vielen Stücke, die
nur im Gedächtnis älterer Klezmorim aufgezeichnet
waren, ärmer wurde. Marty Levitt
erzählt von dieser Zeit:
“I would
say a lot has to do with the Kammen
book (...) They gave each song a name
in the Kammen book (...) In the Kammen
book they put stuff that was easy playable
- nothing too technical. Kostakowsky
had some good difficult things. But
also when Dave Tarras became popular
in his recordings they tried to play
the stuff that he recorded ‘cause they
got more popular. I also played all
his records. Whenever there came out
a new thing I’d learn it.” (Interview
Marty Levitt)
Bei den Notensammlungen war
das große Problem, daß man von den dort
aufgezeichneten bloßen Melodielinien nicht
die Besonderheiten der Verzierung
und Phrasierung von Melodien, die
einen wichtigen Teil der Musik ausmachen,
lernen konnte.
“The Kammen
books and the Yiddish theatre songs
they were always on sheet music. But
the phrasing wasn’t written, just the
basic stuff was written, just the melody
was written. The phrasing you had to
learn from the usage of the players.”
(Interview Sokolow)
Um die Eigenarten der Klezmer-Musik
richtig zu lernen, mußte man sich entweder
in Klezmer-Bands hocharbeiten
oder aus einer Klezmer-Familie
stammen. Aber die Klangideale änderten
sich ständig und ein amerikanischer Klezmer
wollte und mußte anders klingen als ein
osteuropäischer:
“They were
born in Europe, when they play you hear
that Eastern European inflection in
their instrument. Now if you’re born
in the US, that inflection can’t be
there. I was born in America I really
can’t get that perfect Eastern European
inflection.” (Interview Marty Levitt)
Diese Generation von Musikern
lebte selbstverständlich mit einem bestimmten
Klarinettenstil und einer als Kernrepertoire
anerkannten Sammlung von traditioneller
Klezmer-Musik, Liedern und neuen Tänzen.
Sie erlebten in den vierziger Jahren
eine Zeit, in der alte Melodien und osteuropäische
Klangideale noch präsent waren, aber immer
weiter an Bedeutung verloren. Die
ausgefeilte und individuelle Ornamentierung
von Melodien fiel den modernen Idealen
ebenso zum Opfer, wie die vielen komplizierten,
nicht zum Tanzen geeigneten und häufig
auf bestimmte Momente in der Hochzeitsfeierlichkeit
bezogenen Melodien. Die Generationen von
Musikern wie Sid Beckerman,
The Epstein Brothers, Marty
Levitt, Ray Musiker,
Paul Pincus, Pete
Sokolow, und Rudy Tepel
erlebten selber noch, wie die alten Formen
immer mehr vereinfacht wurden.
Der Holocaust vertrieb die letzten
größeren jüdischen Gemeinden der Chassidim
von Europa nach Amerika. Durch
diesen neuen Einwanderungsschub konnten
Klezmorim in den fünfziger und frühen
sechziger Jahren bei Chassidischen Festen
zusätzlich Arbeit finden. Die der osteuropäischen
Klezmer-Musik in vielem ähnliche Chassidische
instrumentale Musik wurde für einige Musiker,
wie z.B. Rudy Tepel und Paul Pincus, zu
ihrem Haupteinkommen. Doch auch diese
Quelle begann in den sechziger Jahren
zu versiegen, da die Chassidim immer mehr
eine amerikanisch und israelisch beeinflußte
Musik bevorzugten.
Nach den fünfziger Jahren
wurde es insgesamt immer schwieriger
als Klezmer seinen Lebensunterhalt zu
verdienen. Die Hotels in den Catskills
Bergen nahmen an Bedeutung als New Yorker
Naherholungsgebiet ab, die Live-Übertragung
im Radio wurde von konservierter Musik
abgelöst und die Produktion von jüdischen
Schallplatten hatte schon längst ihren
Zenit überschritten. Ironischerweise verlagerte
sich der Arbeitsschwerpunkt für Klezmorim
wieder zurück auf Liveauftritte bei
Hochzeiten, Bar Mitzwahs und
Parties. Doch die Feste hatten
sich verändert und mit ihnen die Anforderungen
an die Musiker. Das Publikum war inzwischen
weit von den osteuropäischen Traditionen
entfernt, und benötigte eine moderne Aufarbeitung
um die alten Melodien überhaupt noch interessant
zu finden. Um die Brücke zum zeitgenössischen
Publikumsgeschmack erfolgreich zu schlagen,
paßten sich Arrangeure, wie z.B.
Murray Lehrer auf seiner aus den
fünfziger Jahren stammenden Plattenserie
“Freilach in Hi-Fi” mit Dave Tarras
als Solisten, an den Zeitgeist an. Er
hielt es allerdings für notwendig, seine
Einstellung zu der alten Musik auf dem
Covertext der Platte zu erklären:
“At best,
the younger generation tends to listen
with amused tenderness and tolerance
to a far away idiom which obviously
delights their parents but with which
their own roots are not intertwined.
To bridge the gap between the generations,
arrangers for Jewish bands, while holding
fast to the old rhythms, melodies, and
moods that nostalgically evoke European
locales in Poland, Rumania, Hungary,
etc. have given the old favorites the
modern treatment by highlighting a single
instrument, by including instruments
and combinations of instruments that
our grandparents never knew, and by
building in a night club beat.” (Lebow,
o.J.)
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