Virtual Klezmer

von der Khupe zum KlezKamp
4. Freilach in Hi-Fi
Klezmer Musik im Wandel

 
   

Klezmer-Musik im Wandel

Durch die neue kulturelle Umgebungund durch veränderte gesellschaftliche Bedürfnisse begann sich das Repertoire der Klezmorim in der “Neuen Welt” rasch zu wandeln. Es wurde einerseits um viele zeitgenössische amerikanische Tänze erweitert , andererseits wurde das traditionelle Material selbst entscheidenden Änderungen unterworfen. Die erste amerikanische Generation von Klezmorim lernte noch in der Familie, wuchs aber ebenso selbstverständlich mit amerikanischer Musik auf. Neue Klezmer-Stücke wurden komponiert, die sich von den osteuropäischen vor allem durch komplexere Harmonisierungen und schwierigere Melodien unterschieden. Interessant war dabei, daß im Gegensatz dazu die Vortragsweise immer “einfacher” wurde, denn weniger Verzierungen und ein “geraderes” Spiel bewirkten die allgemein gewünschte Verminderung erkennbar jiddischer Elemente.

Korrektes Auftreten kombiniert mit einer beeindruckenden aber zugleich verhaltenen Vortragsweise machten Dave Tarras zur Vorbildfigur für Klezmorim, die in den dreißiger und vierziger Jahren in das Geschäft einstiegen. Plattenaufnahmen hatten bis dahin Melodien standardisiert, die vorher nie zweimal auf die genau gleiche Weise gespielt worden waren. Radioproduzenten, Publikum und Hochzeitsgäste begannen Versionen von bekannten Aufnahmen als Standard zu begreifen und so bürgerten sich “richtige” und “falsche” Interpretationen ein. Besonders die Platten von Dave Tarras setzten dadurch Maßstäbe für die kommende Generation amerikanischer Klezmorim. Der Bulgar, der eine Spezialität von Tarras war und von denen er selber eine ganze Reihe komponiert hat, nahm eine immer prominentere Rolle im Repertoire der aschkenasisch-amerikanischen Tanzmusik ein. Der “amerikanische” Bulgar entwickelte sich schließlich zum Inbegriff der Klezmer-Musik. Ältere Musiker vermeiden heute noch das Wort “Klezmer-Musik”, stattdessen umschreiben sie das Repertoire lieber mit “Jewish Music” oder ebenso häufig einfach mit “Bulgars” oder “Freilachs”. Ein weiterer Hinweis darauf, wie sehr diese Tänze eine bestimmte Zeit das Repertoire dominiert haben müssen.

Im Klezmer-Repertoirefanden interne Veränderungen ebenso stark und einschneidend statt, wie Einflüsse von außen das Bild der instrumentalen jiddischen Musik neu prägten. Das markanteste Element bei diesen Vermischungsprozessen war Jazz-Musik. Schon in frühen Aufnahmen wird dies an der Instrumentierung deutlich. Anstatt kleiner Ensembles nahmen immer größere Gruppen mit einem starken Gewicht auf Holz- und Blechblasinstrumenten und passenden Rhythmusinstrumenten Platten auf. Auf durchdachte Arrangements wurde großer Wert gelegt, die Person des Orchesterleiters gewann dadurch an Bedeutung, was sich unter anderem in der Namensgebung von Bands niederschlug. Vorgedachte Arrangements waren generell eine Neuheit in der Klezmer-Musik, denn bei den früheren Hochzeiten richtete man sich nach dem Publikum und die Musiker kannten ihre Funktion im Ensemble genau.

    “Mostly on Jewish weddings we didn’t need arrangements: we knew hundreds of waltzes by memory, shers, freylekhs and bulgars. Each instrument knew exactly what they should do, how to fill in.” (Dave Tarras wie zitiert in: Sapoznik 1992)

In den zwanziger Jahren setzte in der Jazzmusik durch das Betreiben von Louis Armstrong eine bis dahin unübliche Identifikation der Instrumentalsolisten ein. Zeitgleich begann man, Solisten wie Dave Tarras oder Naftule Brandwein mit in den Text der Plattencovers einzubeziehen, ihnen also eine Sonderstellung zuzuschieben. Viele Klezmorim arbeiteten neben ihren Auftritten bei jüdischen Hochzeiten, die für viele nicht genug Einkommen boten, in Jazzensembles. Beide Musikrichtungen begannen sich gegenseitig zu beeinflussen. Das bekannteste Beispiel eines solchen Musikers, der zwischen beiden Welten pendelte, war der Trompeter Ziggy Elman, der eigentlich Harry Finkelstein hieß. Elman brillierte mit seinen Klezmer-Einlagen in der Bigband von Benny Goodman , der zwar auch Jude war, aber keine traditionelle jüdische Musik spielen konnte.

    “That same year [1939], Benny Goodman cut his classic rendition of And the Angels Sing. Based on a well-known klezmer dance tune, Der Shtiler Bulgar (...), this recording featured a relaxed, swinging vocal by Martha Tilton and a fiery klezmer trumpet chorus by Ziggy Elman (...) In this recording we find the perfect example of the balancing act of 1930‘s Jewish musician, now equally at home with two styles. And while the swing portion is proudly up-to-date, with contemporary harmonies and voicings, the klezmer interlude seems frozen in time, a nostalgic window into an era which has passed.” (Netsky 1998:9)

Elman hatte eine alte Melodie als Swingstück arrangiert, wobei die Ursprungsmelodie noch immer erkennbar blieb. An einer Stelle setzte er selbst mit einem traditionell gespielten Klezmer-Solo ein, das von Goodmans Klarinette wieder in den Swingteil zurückgeführt wird. Diese Herangehensweise, Jazz und Klezmer-Musik zu kombinieren, wurde vor allem in den vierziger Jahren sehr populär. Ein weiteres Stück mit ähnlicher Struktur wurde 1937 sogar zum größten Verkaufshit, den die amerikanische Plattenindustrie bis dahin kannte: Bay Mir Bistu Sheyn.

    Durch den Erfolg solcher Stücke ermutigt, etablierte der Orchesterleiter Sam Medoff damals im Radio eine Show mit Namen “Yiddish Melodies in Swing”, in der er den Zuhörern in fünfzehnminütigen Abschnitten eine Kombination präsentierte, die “both heymish and hot”war.

Khupe-4-14

Zugpferde dieser Sendung waren Karinettist Dave Tarras und die Barry Sisters, die nach dem Vorbild der berühmten Andrew Sisters als schwesterliches Gesangsduo eine gelungene Mischung von jiddischen Liedern in jazzigen Arrangements präsentierten. Dave Tarras begleitete sie und andere Sänger, und spielte in der erwähnten Sendung, bis sie schließlich 1955 eingestellt wurde.

Tarras, wie viele aus Osteuropa kommende Klezmorim, konnte sich jedoch nie wirklich in die Welt des Jazz einfinden. Erst die in Amerika geborene Generation fand einen selbstverständlichen Umgang mit der amerikanischen Musik, wie zum Beispiel Sam Musiker. Er kam aus einer Klezmer-Familie, begann aber schon mit achtzehn Jahren in Gene Krupas Swing Jazz Orchestra Tenorsaxophon und Soloklarinette zu spielen und erfolgreich mit Kombinationen aus Klezmer-Musik und Jazz zu experimentieren. Er heiratete die Tochter von Dave Tarras und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in der jüdischen Musikwelt aktiver. In den Jahren 1947 und 1948 entstanden einige dem zeitgenössischen Stil entsprechende Platten, bei denen Musiker die Jazzarrangements für Tarras so konzipierte, daß seine Schwäche im Jazz verdeckt wurde und er nur in Klezmer-Sektionen als Solist hervortrat. Tarras schien jedoch selber von der Mischung nie ganz überzeugt gewesen zu sein.

    “It’s not Jewish cause it’s mixing in too much Jazz and it’s not Jazz cause it’s mixing in too much Jewish. It’s what killed it: too much Jazz.” (Dave Tarras wie zitiert in: Sapoznik 1992)

New Yorker Klezmorim, die nach den zwanziger Jahren geboren wurden, lernten Klezmer-Musik in einer Zeit, als die vielen amerikanischen Elemente und die Hits der jiddischen Theater ebenso selbstverständlich zum Repertoire eines Klezmer gehörten, wie israelische Tänze ab den späten vierziger Jahren. Dave Tarras hatte mit seinen Kompositionen und seinem persönlichen Stil das amerikanische Repertoire soweit geprägt, daß sich heranwachsende Musiker nach ihm orientierten. Viele von ihnen lernten nicht mehr nur von den eigenen Verwandten, die häufig als altmodisch abgetan wurden, sondern studierten mit indirekteren Quellen wie modernen Schallplatten und Notenheften. Die wichtigsten Notensammlungen waren die “Hebrew Wedding Dances”, die 1916 von den Brüdern Nat und Wolf Kostakowsky veröffentlicht wurden, sowie “The International Dance Folio”, allgemein als “The Kammen Books” bezeichnet, die 1924 von den Brüdern Jack und Joseph Kammen in zehn Bänden publiziert wurden. Teilweise werden diese Sammlungen bis heute aufgelegt. Sie waren ein wichtiger Faktor für die Standardisierung von Klezmer-Musik und trugen dazu bei, daß das Repertoire mehr und mehr um die vielen Stücke, die nur im Gedächtnis älterer Klezmorim aufgezeichnet waren, ärmer wurde. Marty Levitt erzählt von dieser Zeit:

    “I would say a lot has to do with the Kammen book (...) They gave each song a name in the Kammen book (...) In the Kammen book they put stuff that was easy playable - nothing too technical. Kostakowsky had some good difficult things. But also when Dave Tarras became popular in his recordings they tried to play the stuff that he recorded ‘cause they got more popular. I also played all his records. Whenever there came out a new thing I’d learn it.” (Interview Marty Levitt)

Bei den Notensammlungen war das große Problem, daß man von den dort aufgezeichneten bloßen Melodielinien nicht die Besonderheiten der Verzierung und Phrasierung von Melodien, die einen wichtigen Teil der Musik ausmachen, lernen konnte.

    “The Kammen books and the Yiddish theatre songs they were always on sheet music. But the phrasing wasn’t written, just the basic stuff was written, just the melody was written. The phrasing you had to learn from the usage of the players.” (Interview Sokolow)

Um die Eigenarten der Klezmer-Musik richtig zu lernen, mußte man sich entweder in Klezmer-Bands hocharbeiten oder aus einer Klezmer-Familie stammen. Aber die Klangideale änderten sich ständig und ein amerikanischer Klezmer wollte und mußte anders klingen als ein osteuropäischer:

    “They were born in Europe, when they play you hear that Eastern European inflection in their instrument. Now if you’re born in the US, that inflection can’t be there. I was born in America I really can’t get that perfect Eastern European inflection.” (Interview Marty Levitt)

Diese Generation von Musikern lebte selbstverständlich mit einem bestimmten Klarinettenstil und einer als Kernrepertoire anerkannten Sammlung von traditioneller Klezmer-Musik, Liedern und neuen Tänzen. Sie erlebten in den vierziger Jahren eine Zeit, in der alte Melodien und osteuropäische Klangideale noch präsent waren, aber immer weiter an Bedeutung verloren. Die ausgefeilte und individuelle Ornamentierung von Melodien fiel den modernen Idealen ebenso zum Opfer, wie die vielen komplizierten, nicht zum Tanzen geeigneten und häufig auf bestimmte Momente in der Hochzeitsfeierlichkeit bezogenen Melodien. Die Generationen von Musikern wie Sid Beckerman, The Epstein Brothers, Marty Levitt, Ray Musiker, Paul Pincus, Pete Sokolow, und Rudy Tepel erlebten selber noch, wie die alten Formen immer mehr vereinfacht wurden.

Der Holocaust vertrieb die letzten größeren jüdischen Gemeinden der Chassidim von Europa nach Amerika. Durch diesen neuen Einwanderungsschub konnten Klezmorim in den fünfziger und frühen sechziger Jahren bei Chassidischen Festen zusätzlich Arbeit finden. Die der osteuropäischen Klezmer-Musik in vielem ähnliche Chassidische instrumentale Musik wurde für einige Musiker, wie z.B. Rudy Tepel und Paul Pincus, zu ihrem Haupteinkommen. Doch auch diese Quelle begann in den sechziger Jahren zu versiegen, da die Chassidim immer mehr eine amerikanisch und israelisch beeinflußte Musik bevorzugten.

Nach den fünfziger Jahren wurde es insgesamt immer schwieriger als Klezmer seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Die Hotels in den Catskills Bergen nahmen an Bedeutung als New Yorker Naherholungsgebiet ab, die Live-Übertragung im Radio wurde von konservierter Musik abgelöst und die Produktion von jüdischen Schallplatten hatte schon längst ihren Zenit überschritten. Ironischerweise verlagerte sich der Arbeitsschwerpunkt für Klezmorim wieder zurück auf Liveauftritte bei Hochzeiten, Bar Mitzwahs und Parties. Doch die Feste hatten sich verändert und mit ihnen die Anforderungen an die Musiker. Das Publikum war inzwischen weit von den osteuropäischen Traditionen entfernt, und benötigte eine moderne Aufarbeitung um die alten Melodien überhaupt noch interessant zu finden. Um die Brücke zum zeitgenössischen Publikumsgeschmack erfolgreich zu schlagen, paßten sich Arrangeure, wie z.B. Murray Lehrer auf seiner aus den fünfziger Jahren stammenden Plattenserie “Freilach in Hi-Fi” mit Dave Tarras als Solisten, an den Zeitgeist an. Er hielt es allerdings für notwendig, seine Einstellung zu der alten Musik auf dem Covertext der Platte zu erklären:

    “At best, the younger generation tends to listen with amused tenderness and tolerance to a far away idiom which obviously delights their parents but with which their own roots are not intertwined. To bridge the gap between the generations, arrangers for Jewish bands, while holding fast to the old rhythms, melodies, and moods that nostalgically evoke European locales in Poland, Rumania, Hungary, etc. have given the old favorites the modern treatment by highlighting a single instrument, by including instruments and combinations of instruments that our grandparents never knew, and by building in a night club beat.” (Lebow, o.J.)

Man nahm aus Theaterstücken oder von Aufnahmen her bekannte Stücke und präsentierte sie in einem modernen musikalischen Gewand. Besonders stark war der Einfluß der “Latin-Craze”, einer musikalischen Modeerscheinung, die in den fünfziger Jahren über ganz Amerika mit lateinamerikanischen Tänzen hinwegzog und mit ihren ChaChas, Merengues und Tangos auch Einzug in die jüdischen Gemeinden hielt.

Khupe-4-15

Dem Geschmack der Zeit folgend erschienen Platten wie “Bagels and Bongos” vom Irving Field’s Trio und “Raisins and Almonds” von Johnny Conquet, auf denen alte Tänze und Melodien in Arrangements der damals modernen Cocktailmusik anpaßt wurden und z.B. als Sher ChaCha auftauchten. Mit der Ursprungsversion hatten diese Interpretationen meist nur noch die grobe Melodielinie gemeinsam.

Zu dieser Zeit hatte es bereits kaum noch Bedeutung ein Klezmer zu sein, denn keiner wollte die altmodischen Stücke mit erkennbar osteuropäischem Klang mehr hören. Man benutzte nur noch die Grundpfeiler der Musik, um mit vereinfachten Melodien und mit einigen wenigen Rhythmen einer vagen “Alte-Welt” Nostalgie zu frönen. Henry Sapoznik nennt diese Zeit ironisch “the age of Jewzak”, angelehnt an ein Wortspiel mit “Muzak”, der bedeutungslosen, auf Endlosbänder kopierten Hintergrundmusik in Kaufhäusern, Flughäfen und Aufzügen. Klezmer-Musik war in ihrer profanierten, stark mit anderen Elementen vermischten Version nicht mehr als die einst so ausdrucksstarke musikalische Sprache erkennbar. Das war auch der Grund, warum die Pioniere des Revivals die Zeit nach den fünfziger Jahren komplett ignorierten als sie begannen, die osteuropäische Musiktradition wiederzuentdecken.

Weiter

© 2002 by Susan Bauer. All rights reserved.; Disclaimer
Veröffentlichen und Zitieren außerhalb von www.klezmer.de  nur mit Genehmigung des Autors.
 Aktuelles
 Deutschland
 Besprechungen
 Download
 Links
 Forum
 Von der Khupe...
 Neuigkeiten
 Veranstaltungshinweise
 Einleitender Aufsatz: Klezmer in Deutschland
 Deutsche Gruppen
 Gruppen stellen sich selbst vor
 Linksammlung: deutschen Gruppen
 Liste aller besprochenen Gruppen
 Gruppen/Platten<
 Konzerte
 Bücher
 Filme
 MP3
 Noten
 Liedertexte>
 Linksammlung: internationale Gruppen
 Linksammlung: deutschen Gruppen
 Aufwind
 a Tickle in the heart
 Chalil
 Colalaila
 Di Chuzpenics
 Di grine Kuzine
 Duo Avierto
 Helmut Eisel
 Gebrider Moischele
 Giora Feidman
 Harrys Freilach
 Huljet
 Jerewan
 Kasbek
 Khupe
 Klezgojim
 KlezmerOrchester
 Klezmers Techter
 Klezmorim (Tübingen)
 Kol Simcha
 MasselTov
 Mesinke
 Ojojoj
 Tacheles Klezmer Company
 Schnaftl Ufftschik
 Yankele Kapelle
 Yiddish Blues
 Zwetschgendatschi
 Neue Titel
 Übersetzungshinweise
 Titel A-E
 Titel F-L
 Titel M-S
 Titel T-Z
 Übersicht
 Historisch (vor 1940)
 in der Versenkung (1940-75)
 Revival (1975-90)
 Traditionalisten (ab 1990)
 Erneuerer (ab 1990)
 jüdische Lieder
 Aufnahmen für Kinder
 Stile und Formen
 persönliche Top 10
 Diskussions-Forum
 altes Gästebuch
 altes Schwarzes Brett
 Impressum+Kontakt
 Inhalt
 Vorwort
 1. Shvaygn = Toyt
 2. Klezmology
 3. A world of Klezmer
 4. Freilach in Hi-Fi
 5. Fully Klezmerized
 6. Tradition is a Continuum
 Bibliographie
 Diskographie