(Besprechung: Andreas) Aufwind - Inejnem ( 2002 ) Eine brandneue CD, erschienen im November 2002. Mit sechs Jahren Abstand zu der letzen Platte ist endlich die fünfte CD der Gruppe Aufwind erschienen, sozusagen zum 18. Geburtstag der Band. Wie nicht anders erwartet, wieder eine gute Mischung aus jiddischen Liedern und Klezmermusik. Seit der ersten Platte 1989 "lomp noch nit farloschn" ist die Besetzung der Gruppe gleichgeblieben. Lediglich die Besetzung des Kontrabasses wechselte einige Male. Die Besetzung: Claudia Koch - Gesang, Violine, Bratsche Hardy Reich - Gesang, Gitarre, Mandoline Andreas Rhode - Gesang, Bandoneon, Percussion Jan Hermerschmidt - Klarinetten, Blockflöte, Gesang Thomas Pfaffrath - Kontrabass Gast: Steffen Wendlik - Posaune

Lieder: Lomir ale (3:38) A majssele (3:23) Hora / Tanz Istanbul (4:36) Jingele nit wejn (3:42) Kezl (3:00) Schpil gitar (4:13) Der winter (4:18) Ess singt sich nit (4:41) Aj lajk schi (2:29) Kaschtnbojm (3:47) Dobranoc / Frejlechss (4:30) Er hot nischt (3:02) Lejg dajn kop (1:45)

Kommentar zu einzelnen Stücken: 1. Lomir ale Nach einer selbstkomponierten Doina von Claudia Koch beginnt ein bekanntes Stück mit fröhlicher Melodie. Ein traditionelles Stück das ich so noch nicht gehört habe. Die Klarinetteneinlagen, mit dem Namen "Ukraine" sind virtuos und schön gespielt. Insgesamt schön anzuhören. Aufwind: "Laßt uns alle zusammen bis zum Morgengrauen feiern und singen. Hebt den Becher mit Wein und laßt uns lustig und fröhlich sein. Denn wenn man fröhlich ist, ist man ein König". 2. A majssele Eines der schönsten Liebeslieder in jiddischer Sprache und das schönste Lied der Platte. Auch bekannt unter dem Namen "im himl shvimt a volkendl". Der Text des Liedes stammt von B.I.Bialostotski und die Musik von Mikhl Gelbart. Eine weitere interessante Version des Stückes ist auch von Lorin Sklamberg auf der Kinderplatte "di gine katshke" zu hören. Sehr schön gespielt und gesungen. Gefällt mir ausgesprochen gut. Aufwind: "Am Himmel schwimmt eine Wolke, aber das ist nur eine kleine Geschichte, denn du bist ja meine Wolke. Vom Himmel fällt ein Regen und macht den Tag dunkel, aber wenn du da bist wird es wieder hell. Und es steht eine Mühle, deren Flügel drehen sich und machen sschu-sschu. Aber das was mich bewegt bist du. Denn du bist ja mein Mädchen / Junge". 3. Hora / Tanz Istanbul Virtuos gespielte Hora mit anschliessendem Tanz aus dem Repertoire von Dave Tarras. 4. Jingele nit wejn Schön gesungenes Lied im typischen Aufwind Stil, tragischer Text. Die Musik des Stücken stammt von Abraham Ellstein, der Text von Jacob Jacobs. Aufwind: Ein Vater kam mit seinem Sohn in ein fremdes Land. Der Junge sehnte sich sehr nach seiner Mutter, die auf der anderen Seite des Meeres verblieben war. Der Vater versuchte seinen Sohn zu trösten; er wird ihn beschützen und immer bei ihm bleiben und ihn selbst für alles Geld der Welt nicht hergeben". 5. Kezl Ein Stück, das die Bezeichnung "abgefahren" wirklich verdient hat. Als ich das Stück das erste mal hörte, musste ich lachen. Das Stück beginnt mit extrem überblasener Bassklarinette, teilweise brutal, und endet mit dem leisen Klang der Klarinettenklappen. Man kann die Atemzüge von Jan Hermerschmidt hören, wie er Luft holt um die Klarinette zu "quälen". Ein exzellentes Stück auf de Bassklarinette (meinem Lieblingsinstrument). Eines der besten Stücke auf diesem Instrument überhaupt. Spitze ! 6. Schpil gitar Seltenes russichen Lied, das es nur von Lori Wilner, Zalmen Mlotek und dem Gold Land Klezmer Orchester zu hören gab. Musik und russischer Text des Stückes stammen von Samuel Jakowlewitsh Pokrass. Aufwind: "Spiel die Gitarre, bis die Saiten reißen und meine Sorgen aufhören, bis ich betrunken bin und alles vergesse. Wozu sich Sorgen machen über den morgigen Tag, füllt die Gläser, denn mit dem Wein vergeht der Schmerz". Typisches Aufwind Stück, gut gemacht. 7. Der winter Gesungenes Stück von Mark Warschawski, der Text und Musik schrieb. Anschließend folgt eine rumänische Zigeunermelodie. 8. Ess singt sich nit Lange schleppende Einleitung in ein weiteres tragisches Stück von Mark Warschawski. Nicht mein Geschmack. Aufwind: "Die fröhlichen Lieder scheinen verstummt zu sein. Das Leben wird immer schwerer und bitterer, mein Herz scheint zu zerspringen. Es gibt nichts mehr zu singen". 9. Aj lajk schi Bekanntes Stück von Alexander Olschanetski. Den englisch/yidischen Text schrieb Jacob Jacobs. Ein Lied, das mir persönlich noch nie gefallen hat. Der einzigartige Aufwind-Chor rettet das Lied. Ähnlich wie bei dem unverwechselbaren Aufwind Stück "Nikolayev". Nett zu hören und vor allem gut gesungen. Interessante Interpretation. 10. Kaschtnbojm Der Kastanienbaum ist eine Rarität, von dem es nur eine bekannte Aufnahme gibt. Sie stammt von dem Engländer Chaim Neslen. Claudia Kochs Stimme ist wie geschaffen für dieses schöne Lied das von Schönheit und Liebe handelt. Die Musik zu diesem Lied schrieb Lola Folman, der Text stammt von Jitzchok Perlow. Aufwind: "Eine Mutter hatte einst eine Tochter mit schönen blonden Haaren. Das Mädchen wuchs heran und war mit 16 Jahren sehr ansehnlich geworden. Aber auch die Mutter war erst 42 Jahre und noch sehr schön. Am Abend umkreisten junge Burschen das Haus und riefen zur Tochter lockende Verse hinauf. Die Mutter glaubte, sie wäre gemeint, machte sich hübsch und wollte die Tochter schlafen schicken. Doch diese entgegnete, daß sie kein Kind mehr sei und die Burschen nach ihr riefen. Da legte sich die Mutter schlafen und an ihr Fenster klopfte der Kastanienbaum und sagte: Als du jung warst blühte ich für dich, heute aber für deine Tochter". 11. Dobranoc / Frejlechss Dobranoc (gute nacht) ist der erste Teil der beiden jüdischen Hochzeitslieder. Der Freylakh im zweiten Teil gefällt mir besonders gut. 12. Er hot nischt Swingiges Lied, etwas ungewohnt für Aufwind, nicht mein Geschmack. Aufwind: "Ich gehe über den Markt, schau mir die Stände an, will aber nichts kaufen. Alles fasse ich an, die Birnen und die Seide, aber wenn der Verkäufer kommt, sage ich nur: Du hast nicht das, was ich brauche und was ich will. Was du hast, das brauche ich nicht und was ich will, das sehe ich nicht. Ich bin nicht mehr ganz jung und meine Mutter drängt mich zum heiraten. Da gibt es auch einen passenden Burschen. Leider hat er außer Geld nichts in der Hose. Er hat nicht das, was ich brauche um zur Frau gemacht zu werden und was er hat, darüber kann ich nur lachen". 13. Lejg dajn kop Langsames Schlaflied von Halper Lejwik. Fazit: Hmm, es gibt wohl zwei Seiten der Platte. Zum einen die musikalische Seite, zum anderen den Faktor Aufwind. Musikalisch gesehen keine Frage, eine professionelle Scheibe an der es nichts auszusetzen gibt. Alle Stücke sind klasse gespielt, viele eigene Interpretationen, abwechslungsreiche Auswahl der Lieder. Besonders gut hat mir das Stück "Kezl" gefallen, eine abgefahrene Interpretation. Auch "a majssele" zählt zu meinen Favoriten der Platte. Prima Gesang und gute Interpretation. Allerdings hatte ich mehr Lieder im Stil der Platten "lomp noch nit.." und "gassn singer" erwartet. Melancholische Stücke, die mit schnellen Klezmer-Tunes enden. Die Stücke sind zwar ausnahmslos klasse interpretiert, aber der typische Aufwind-Pep fehlt irgendwo. Ich finde, die gewohnte Mischung aus Lied und Klezmer kommt etwas zu kurz. Im ganzen gesehen, rundet die Platte das Repertoire von Aufwind positiv ab. Die Platte distanziert sich von normalen Standards, was die Auswahl der Lieder zeigt. Seltene Stücke, an die sich nicht viele Bands wagen. Für mich immer noch die beste deutsche Klezmer Band. Bewertung: Interpretation Virtuosität Spielfreude Aufmachung