Virtual Klezmer

Kapelye
Chicken

(Besprechung: Heiko Lehmann )

Kapelye – Chicken
© 1989 Shanachie Records Corp., 37 East Clinton St., Newton, NJ 07860
Shanachie 21007

Die Besetzung:
Michael Alpert: violin, vocals (A4 and B3)
Eric Berman: tuba, trombone
Lauren Brody: piano, accordion, vocals
Ken Maltz: clarinet, vocals
Henry Sapoznik: tenor banjo, vocals (A2 and B3)

 

Lieder:

OT AZOY (sehr dynamisch)

CHICKEN (von Rubin Doctor, zweite Strophe von Sapoznik; ein Klassiker)

ALBUKERKE (von Michael Alpert; klingt wie ein Vorspiel zu einem Kapelye-Song)

VOT KEN YOU MAKH? ES IS AMERIKE! (Ausgezeichnet! Ein Klassiker)

BANJO DOINA (ich sah Mandolinisten Jahre daran üben!)

DER YID IN YERUSHOLAYIM (sehr stark, der typische Band-Sound)

ZIGANOFF MEDLEY (Brodys Stil ist angenehm vom Balkan beeinflußt)

DER BADKHN (einer der Höhepunkte in Kapelye´s Schaffen)

All arrangements © Copyright 1986 Kapelye, Inc.

 

Seit dem “Levine”-Album hatten sich die Konflikte zwischen den Sängern der Band, Alpert und Sapoznik, verschärft und fanden im Streit über das Liedrepertoire ihren Ausdruck. Lauren Brody war mehrmals über längere Zeit nicht in der Stadt, vom Auffinden des Klezmer-Materials in den YIVO Sound Archives durch Henry Sapoznik bis zum Transkribieren des Materials durch Ken Maltz verging ziemlich viel Zeit – keine sonderlich guten Voraussetzungen für das dritte Album.

Vielleicht war es aber gerade dieser Überfluß an Zeit, der das Album über die Qualität des Vorgängers hinauswachsen ließ.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen ist die Abmischung des Albums im Vergleich zu „Levine“ um ein Wesentliches besser; sie erinnert an den „klassischen“ Mix von „Future & Past“. Der Stereo-Mix ist sogar besser. „Ot Azoy“, Bestandteil eines Repertoires, daß ich problemlos missen kann, beweist es als das erste Stück des Albums: links die Sekund-Geige, in der Mitte die Tuba auf den geraden Schlägen, halbrechts und rechts Akkordeon und Banjo dazu synkopierend – es gibt dem Stück eine Dynamik, mit dem man es genießen kann, obwohl es nicht zu schnell gespielt wird. Das zieht sich durch das gesamte Album.

Ein weiterer Grund ist das Einbeziehen individueller Leistungen. Kapelye´s musikalisches Konzept ist nie gewesen, etwa wie beim Jazz oder dem Hard Rock der 60er/70er Jahre innerhalb eines eines Stückes einzelnen Musikern längere Solis zuzugestehen (wie dies später BOW tun), abgesehen vom jeweiligen Melodieinstrument und Ken Maltz´s Klarinette (dies wird in ihrem letzten Album zur Geltung kommen). Auf „Chicken“ gibt es jedoch zwei Stücke, die pure Solis sind: „Ziganoff Medley“, zwei Stücke des legendären Mishka Ziganoff, mit Lauren Brody am Akkordeon, sowie „Banjo Doina“ mit Henry Sapoznik am besagten Instrument, ein gewagtes Unternehmen. Es beginnt mit einer Doina, die Kapelye von einer Dave-Tarras-Aufnahme kennen, die es aber wohl auch von Joseph Moskowitz gibt (sowie mittlerweile von fünfzigtausend anderen Bands). Im weiteren folgen Hora und Bulgar. Sapoznik wird sensibel von der Band begleitet, Ken Maltz übernimmt im Bulgar zuweilen die erste Stimme. Ein sehr gelungener Versuch.

„Der Yid in Yerusholayim“ präsentiert den harten, akzentuierten Kapelye-Sound, der bereits auf dem ersten Album vorgestellt wurde. Wieder ist es der Rhythmus, der für den Wiedererkennungseffekt sorgt. Ähnliches gilt für „Albukerke“ und „Ot Azoy“.

Trotz (oder vielleicht wegen) des Repertoire-Streits der Sänger ist dieses Album ein Höhepunkt gesanglichen Repertoires. Das von Sapoznik z.T. auch getextete „Chicken“ wurde zu einem Kapelye-Klassiker. Es hat mit Sapozniks Stimme und dem Sound der Band etwas einzigartiges, was man spätestens bemerkt, wenn man den Song covern will. Aaron Lebedeffs „Vot Ken You Makh? Es Iz Amerike!” wurde in Michael Alperts Interpretation zum zweiten Mal zum Hit und diente als Vorlage für die Version des Liedes auf Aufwinds erstem Album. Alpert steuerte übrigens die Komposition des Instrumentals „Albukerke“ bei.

Der eigentliche und unbestrittene Höhepunkt der CD ist jedoch „Der Badkhn“. Musikalisch präsentiert es die Band mit mehreren Stücken ( u.a. „Tsu der Khupe“, „Russian Sher“, “Firn di Mekhutonim Aheym“), doch es ist der erste Versuch des „Klezmer-Revivals“, den Ablauf einer jiddischen Hochzeit musikalisch und textlich auf einem Tonträger darzustellen. Kapelye tun dies im Schnelldurchlauf. Neben der Musik liegt der Fokus auf dem Zeremonienmeister, dem Hochzeitsunterhalter, ohne den keine Hochzeit denkbar war: dem Badchn. Alpert spielt den jiddischen Badchn, Sapoznik ist das englische Äquivalent (Kapelye wußten, daß die Mehrzahl ihres Publikums dieses Jiddisch nicht verstehen wird), und er bringt die Komik des Badchn ins Spiel. Viele Bands haben späterhin versucht, eine Hochzeit auf CD zu konzipieren, und meines Wissens hat es erst zwölf Jahre später („Chicken“ kam 1987 ´raus) eine davon geschafft; in diesem Fall ist Kapelye´s „Der Badkhn“ legitimer Vorläufer von Budowitz´s konzeptionellem Meisterwerk „Wedding Without a Bride“.

„Chicken“ ist nach „Levine“ Kapelye´s zweiter Versuch, einen Teil des Albums einem Konzept unterzuordnen. Es reicht an die musikalische Qualität ihres Erstlings „Future & Past“ heran, geht mit „Der Badkhn“ z.T. darüber hinaus und ist sehr ordentlich aufgenommen und abgemischt. Mit „Der Badkhn“ schreibt es gleichzeitig Geschichte innerhalb des „Klezmer-Revivals“. Es ist das letzte Album, das Michael Alpert mit der Gruppe einspielt, auch Lauren Brody wird die Band verlassen; keiner von ihnen weiß das zu diesem Zeitpunkt. Trotzdem liegt der eigentliche Höhepunkt von Kapelye´s recording career noch vor ihnen.

© 2002 by Heiko Lehmann. All rights reserved.; Disclaimer
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